Sonntag, 11. Juni 2023

[ #Vorarlberg ] Mythos "Alpenfestung" in Vorarlberg


Am 20. Februar 1945, verbreitete der amerikanische Geheimdienst OSS einen Agentenbericht, in dem es hieß, dass "the Nazis [were] undoubtedly preparing a bitter fight from the mountain reduit."

Schon im November 1944 hatte der NS-Gauleiter Hofer in einem Memorandum an Adolf Hitler vorgeschlagen, ein Kerngebiet in den Alpen zur letzten Bastion des Reiches, zur Alpenfestung, auszubauen. Unter anderem war geplant, eine große Zahl englischer und amerikanischer Kriegsgefangener zusammenzuziehen, um alliierte Bombardements zu verhindern (tatsächlich wurden am 30. April 1945 prominente KZ-Häftlinge am Pragser Wildsee in Südtirol zu diesem Zweck inhaftiert).

Freilich hielten die deutschen Militärs nichts davon, sich in die unwirtlichen Berge ohne Waffenproduktion und sonstige Ressourcen zurückzuziehen und die deutschen Militärs hatten Europa nicht erst verwüstet um dann als Widerstandskämpfer sich in den Bergen zu kasteien. Der NS-Gauleiter für Tirol-Vorarlberg Franz Hofer wurde jedenfalls erst am 12. April 1945 zum Vortrag in den Berliner Führerbunker geladen wurde. Hitler – 18 Tage vor seinem Suizid noch immer vom Endsieg labernd – billigte dort angeblich Hofers Vorschlag und ernannte ihn einen Tag vor seinem Tod am 29. April 1945 zum Reichsverteidigungskommissar der Alpenfestung.

Immerhin hatte sich Mitte Februar 1945 der Mythos "Alpenfestung" so weit verfestigt, dass Allen Dulles, Leiter des OSS-Bern, eine "Alpenfestung"  als sehr realistisch einschätzte: "It seems generally accepted now that a delayed defense fortress will lie in the Bavarian and Austrian Alps".

OSS (Office of Strategic Services) war der geheime militärische und politische Auslandsnachrichtendienst der USA mit Sitz in Washington. Offiziell 1942 gegründet arbeitete er eng mit den Briten zusammen und beschäftigte sich neben der Informationsbeschaffung unter anderem mit der Spionageabwehr, psychologischen Kriegsführung und der Unterstützung von Widerstandsgruppen. Das OSS-Hauptquartier in Europa war in London angesiedelt, wobei wichtige Stützpunkte in US-Botschaften verschiedener Länder eingerichtet wurden. Die OSS-Außenstelle in Bern, unter der Leitung von Allen Dulles, war dabei ein zentraler Dreh- und Angelpunkt in Bezug auf Nazideutschland und den besetzten Gebieten. Das OSS wurde 1945 offiziell aufgelöst und 1947 mit vielen ehemaligen Mitarbeitern als Central Intelligence Agency (CIA) neu gegründet.

Bomben auf Feldkirch - Festungslinie Imst-Bludenz. Aus einem Bericht des amerikanischen OSS-Geheimdienstes aus Bern geht schon im Oktober 1943 eine Organisation einer Alpenfestung just zwischen dem strategisch unwichtigen und wohl nur für Schifahrer wichtigen Gebiet zwischen Imst und Bludenz hervor: "Beginning last month, defense construction has been under way in valleys of the Austrian Tyrol, to the southward of a line between Imst and Bludenz. This work is being carried on by the Todt organization."

In dieses Bild passen auch die allierten Bomben auf Feldkirch am 1. Oktober 43. Die Flugzeuge kreisten in der Mittagszeit eine Zeit lang in der Gegend, bevor sie die Bomben warfen. Die Bevölkerung beobachtete teilweise die Flieger neugierig und war völlig überrascht. Im Stiegenhaus des getroffenen Lazaretts wurde eben ein Luftschutz-Appell abgehalten, als die Bomben mit verheeerender Wirkung einschlugen. Im ganzen wurden 171 Personen, darunter 92 Wehrmachtsangehörige getötet.

Die Organisation Todt (OT) war eine nach militärischem Vorbild organisierte Bautruppe, die den Namen ihres Führers Fritz Todt trug. Die 1938 gegründete Organisation unterstand ab März 1940 dem Reichsminister für Bewaffnung und Munition (RMfBM sowie dem Nachfolgeministerium). 1942 wurde Albert Speer zum neuen Führer der OT ernannt. Sie wurde vor allem für Baumaßnahmen in den von Deutschland besetzten Gebieten eingesetzt. Sie war straff hierarchisch organisiert und die Arbeiter waren uniformiert.  In der Organisation kamen auch Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge zum Einsatz.

Bregenz Dornbirn, Bludenz. Mitte April 1945 berichtete dann der Geheimdienst, dass österreichische Widerstandskämpfer die Hauptverkehrslinien von Innsbruck nach München und Salzburg gesprengt hätten und die Alpenfestung einen ganzen Tag von dem "Restösterreich" abgeschnitten gewesen wären.  Besorgt war man auch wegen  einer Aufstockung der Führerbegleitbrigade in Berchtesgaden auf 4.000 Mann und von Material-, Waffen- und Nahrungsmittellieferungen größeren Umfangs, die täglich in Bregenz, Dornbirn und Bludenz eintrafen. Auch aus Salzburg, Berchtesgaden und anderen Teilen der Rückzugsregion "Alpenfestung"  meldete man verdächtige Lieferungen.

Der Reichsstatthalter und Gauleiter Hofer hatte noch am 30. April 1945 großspurig angekündigt, seinen Wehrkreis zu einer „Alpenfestung“ auszubauen. In Vorarlberg werden noch alte Verteidigungslinien notdürftig befestigt: an der Bregenzer Klause, am Kummenberg, bei Feldkirch, bei Nüziders, im Klostertal. Von einer Alpenfestung kann allerdings keine Rede sein. Die militärische Organisation ist chaotisch. Die Soldaten der Garnisonen Bregenz und Bludenz und Ersatzkompanienaus Landeck warten darauf, die Waffen zu strecken.  Die Reste der 24. deutschen Armee flüchten vor den Franzosen. Freilich wüten noch vier Kompanien Waffen-SS als feige Mordsbuben unter der Bevölkerung, wenn sich diese wagt, die weiße Fahne zu früh zu hissen.

Die Alpenfestung blieb ein Phantom, eine Durchhaltepropaganda der Nazis oder auch nur eine Wichtigmacherei von Möchtegern-Agenten. Bereits am 6. Mai 1945 wurde NS-Gauleiter Hofer von der US-Armee in Hall in Tirol verhaftet und in einem Internierungslager inhaftiert.


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