Freitag, 17. Februar 2017

[ #Damüls ] Was macht(e) das "1950er Syndrom" aus Damüls?

Das Buch von Robert Groß, "Wie das 1950er Syndrom in die Täler kam. Umwelthistorische Überlegungen zur Konstruktion von Wintersportlandschaften am Beispiel Damüls" steht online zum Download bereit.

Historiker reden vom  1950er-Syndrom und beschreiben damit den rasanten Anstieg des weltweiten Energieverbrauchs um die 1950er Jahre und vor allem seine "nachhaltigen" Folgen. Historisch sind damit die Jahre zwischen 1949 und 1966 gemeint, in denen sich Lebensweise und Lebensstandard breiter Schichten  tiefgreifend zu Konsum und Wirtschaftswunder veränderten. Dieses Wunder erfolgt insbesondere durch einen Schub an Energieverbrauch, einer erheblichen Vermehrung der bis dahin bekannten Energieressourcen sowie der Entwicklung der Konsumgesellschaft und Massenmotorisierung. In dieser Zeit schloss Europa zu der Wirtschaftsentwicklung Amerikas rasant auf.

Damüls. Robert Groß zeigt in seinen "Erzählungen" als Biologe und Historiker die Umweltgeschichte des kleinen Vorarlberger Dorfes Damüls, das sich im 20. Jahrhundert von einem abgelegenen Bergdorf zu einem zentralen Wintersportort entwickelte. Er beschreibt den sozialen und ökonomischen Prozess von der bauerlichen Landwirtschaft zum Wintertourismus analog der Industrialisierungsgeschichte als "sozial-ökologischen Regimewechsel".


Die Arbeit ist eine Fundgrube für eine Tourismusgeschichte Vorarlbergs und ist auch ein Beitrag zu einer Mentalitätsgeschichte des alpinen Vorarlbergs. Freilich tut sich der Autor schwer mit den Folgen dieser Entwicklung die er als Historiker und Biologe zu beschreiben hat und verfällt dabei einer der Forschung und Geschichtswissenschaft abträglichen Rechtfertigungslyrik für den Tourismus, wenn er Biomassekraftwerk und gar Speicherbecken für die künstliche Beschneiung als Nachhaltigkeitsprojekte sieht und das Konzept einer "sozialökologischen Nische" bemüht.


Mittlerweile ist ja aus der Nische ein ökologisch bedenklicher Kahlschlag entstanden und im Gegensatz zum Lernen aus der Geschichte, das  ja die Arbeit intendiert, wird weiter nach dem 1950er-Rausch zugrunde liegenden Prinzipien gehandelt, wie die Schigebietsverbindung Mellau-Damüls anschaulich und deutlich zeigt.

Dabei muss man keineswegs dem vom Autor gerügten "romantischen Blick" zurück als "Schnee von gestern" folgen. Es ist nicht nur mentalitätsgeschichtlich durchaus verständlich, dass die Damülser "Armenhüsler" vom und am urbanen Wintersportler Arbeit und Geld verdienen woll(t)en und bedarf auch keiner eigenen Rechtfertigung. Die Fragen in diesem Zusammenhang sind eben keine, die sich auf Damüls beschränken und die ökologischen Auswirkungen tun es ebenfalls nicht.

Die Enteignung, die Privatisierung von Natur zugunsten von Hotel-, Appartements- und Seilbahninvestoren, die Zerstörung von Biodiversität und Umwelt, der Ressourcenverbrauch durch Beschneiung und Verkehr hat damit in den Vorarlberger Wintersportorten wohl dem 1950er Syndrom weitere Krankheitszeichen draufgesetzt, ist doch ein Syndrom schon im medizinischen Sinne ein ganzes Bündel solcher.

 [Zeitreiseführer #Vorarlberg ]⇒ 




Lohnt sich ein Download? Ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis sagt mehr: 
Inhalt
1. Einführung 7
2. Theoretische Vorüberlegungen 11
 2.1. Der sozialökologische Regimewechsel 12
 2.2. Landschaftswandel 16
 2.3. Die ökologische Nische 20
 2.4. Zwischen Natur und Kultur: die sozialökologische Nische 23
 2.4.1. Wintersportlandschaften als Resultat „sozialökologischer Nischenbildung“:
 naturale und kulturale Umweltfaktoren 29
 2.5. Landschaften als Objekt der Wahrnehmung 31
 2.6. Zusammenfassung 34
3. Industrialisierungsfolgen im Walserdorf 37
 3.1. Wie Damüls beinahe zu existieren aufgehört hätte 37
 3.1.1. Vom Modernisierungsdefizit zum „Resilienzvorteil“ für Nebenerwerbstouristiker – Die „1000 Mark-Sperre“ 42
 3.1.2. Das Ende der Industrialisierung: Damüls in Zeiten des Nationalsozialismus und der alliierten Besatzung 44
 3.2. Symtome des 1950er Syndroms in Damüls 47
 3.2.1. Das Bauernsterben 47
 3.2.2. Die sozialökologische Nische Wintersportlandschaft 52
 3.3. Die Krise des 1950er Syndroms 57
 3.3.1. „Das schneereichste Dorf der Welt“, im Spannungsfeld „gigantischer Landschaftszerstörung“ und „reiner Natur“ 59
4. Verkehrsgeschichte: alpine Verkehrslandschaften in historischer Betrachtung 64
 4.1. Verkehrswege als Lebensadern 64
 4.2. Touristische Wahrnehmungsschneisen nach Damüls: Ludwig Steub und Ludwig von Hörmann 66
 4.2.1. Ludwig Steub 67
 4.2.2. Ludwig von Hörmann 69
 4.3. Automobilisierte Eroberung alpiner Landschaften: Verkehr und Fremdenverkehr im Zeichen des 1950er Syndroms 70
 4.4. Wertewandel gegenüber Verkehrssystemen: Das Zwentendorf von Faschina 73
 4.5. ÖPNV: Kampf der Blechlawine 76
5. Skilauf- und skilifthistorischer Kontext und neue Winterwahrnehmung 79
 5.1. Skier: vom Verkehrsmittel Schneeschuh hin zur Fremdenverkehrsattraktion und zur neuen Winterwahrnehmung 81
 5.2. Ideologisierung: Skilauf im Kontext der politischen Geschichte Vorarlbergs 85
 5.3. Massenmedien: „Der Feierabend“ 86
 5.3.1. Sonne, Schnee und Skier 88
 5.3.2. Landesidentität 90
 5.3.3. Skilauf – Quo vadis? 91
 5.4. Technikhistorisches: alpine Mobilität aus historischer Perspektive 93
 5.4.1. Prototypische Aufstiegshilfen: Schlittenlifte und Seilschwebebahnen 95
 5.4.2. Klassische Skilifte: Schlepplifte und Sessellifte 96
 5.4.2.1. Schlepplifte 97
 5.4.2.2. Sessellifte 98 5.5. Gegenpositionen 100
 5.5.1. „Ist´s nicht genug des grausamen Spiels der Entweihung der Alpenwelt [...]?“ 101
 5.5.2. Erster Paradigmenwechsel: vom Natur- und Heimatschutz zur ökologisch motivierten Skiliftkritik 105
 5.5.3. Zweiter Paradigmenwechsel: von den „Grenzen des Wachstums“ zur „nachhaltigen Entwicklung“ im Tourismus 107
 5.6. Sportgeschichte: von der Partizipation der Massen zur Ausdifferenzierung der Bewegungspraxen 109
6. Umwelthistorische Aspekte des touristischen Blicks 112
 6.1. Schnee: Medium des Skilaufs 115
 6.1.1. Fortschritt Aufstieg: die Technisierung der sozialökologischen Nische und der romantische Blick auf die Wintersportlandschaft 117
 6.1.2. Der gesellige Blick auf die Wintersportlandschaft als Symptom des 1950er Syndroms 121
 6.1.3. Der touristische Blick auf die Wintersportlandschaft im Zeichen der ökologischen Kritik 126
 6.1.3.1. Naturschutzfacetten in der mentalen Topographie von Skiläufern 127
 6.1.3.2. Schnee von gestern: der romantische Blick 132
 6.1.4. Die Neuaufl age des 1950er Syndroms im touristischen Blick auf die Wintersportlandschaft 133
 6.1.5. Beherrschte Schneelandschaften 135
 6.1.6. Überwundener Schnee 141
 6.2. Der touristische Blick auf die Verkehrslandschaften von Damüls 146
 6.2.1. Hoffnungsträger Straße 146
 6.2.2. Verkehrssysteme im Zeichen des 1950er Syndroms: die Erschließung der Wintersportlandschaft 147
 6.2.3. Fall und Aufstieg des ÖPNV 153
 6.2.4. Paradoxien: verkehrsentlastender ÖPNV vs. verkehrsbelastender Motorradtourismus 155
7. Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick:
 Gesellschaftliche Naturverhältnisse und deren bildliche Repräsentation 157
 7.1. Sozialökologische Nischenbildung im Zuge der Industrialisierung 157
 7.1.1. Das 1950er Syndrom in der Damülser Wintersportlandschaft 159
 7.2. Der touristische Blick auf die sozialökologische Nische in Damüls 160
 7.3. Aspekte einer vom Naturschutz geprägten Ästhetik im touristischen Blick 162
 7.4. Weiterführende Überlegungen und praktische Implikationen dieser Arbeit 166
8. Literaturverzeichnis 170
 8.1. Monographien 170
 8.2. Aufsätze in Sammelwerken und Periodika 173
 8.3. Aufsätze und Artikel in Tages- oder Wochenzeitungen 179
 8.4. Internetseiten 179
 8.5. Statistiken 180
 8.6. Sonstiges 180
 8.6.1. Gipfelbuch 180
 8.6.2. Karten 180
 8.6.3. Interviews 181
 8.6.4. Werbeprospekte und Bildpostkarten 181
 8.6.5. Akten 182
9. Abbildungsverzeichnis 184
10. Register 187
 10.1. Personenregister 187
 10.2. Sach- und Institutionenregister 188
 10.3. Ortsregister 191

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