Donnerstag, 5. Januar 2023

[ #Bludenz ] Bludenzer Silvester anno 1823: Verbot des „Neujahr-Anschießens“


Dass die Feuerwerkerei immer auch von der Obrigkeit beachtet wurde, schließlich gefährdeten die Unfälle nicht nur die Produktivkraft sondern belasteten auch die Armenkasse und wurden im Zeitalter der Aufklärung als "nutzlos" verstanden, darauf verweist das Vorarlberger Landesarchiv im Rahmen der Online-Ausstellung "Archivale des Monats":


Die Bekanntmachung des Bludenzer Bürgermeisters vom 7. Dezember 1823 gewährt den Silvesterknallern keine Nachsicht.

Höllenspektakel oder Höllenlärm verweisen auf einen Deutungszusammenhang, in den das Christentum den Lärm einordnete. In vorchristlicher Zeit sollte Lärm die Zauberkraft der Dämonen brechen. Dass sich dieser Aberglauben auch auch in christlicher Zeit erhalten habe, ist eine der erzählten und mannigfach wiederholten Legenden, wie wohl der Beweis dafür wohl fehlen muss. Wie auch immer: Weniger die angebliche Abwehr böser Geister als die Lust an gemeinschaftlich erzeugtem Lärm ist es, welcher der Lärmerzeugung in den "Rauhnächten" und damit sowohl am Silvester als auch im Fasching eine derartige Bedeutung gibt. Es liegt darin wohl vielerlei an Motivationen, mehr verborgen als durch die politische Erzählung vom Überleben heidnischer (Ur-)Bräuche dargestellt wird, auch wenn das Lärmen einst in ganz Europa verbreitet war, so wie heute die Silvesterfeuerwerke um den Erdball.

Lärmbrauchtum. Das wohl wahrscheinlich einzig Traditionelle dabei ist die Eingrenzung der Zeit, in der der das Lärmbrauchtum stattfinden kann. Aber auch hier ist es wohl kaum bewusste Tradition als eher eine Gewohnheit, besser gar Gewohnheitsrecht. Denn weder erinnert sich jemand an den Mondkalender noch sind heute Fruchtbarkeitssymbole in einer modernen Gesellschaft beobachtbar. Wenn frische Erdbeeren auch zu Weihnachten auf dem Speisezettel stehen, dann muss sich zwangsläufig solches Erntezeit und Ruheizeitbewusstsein längst verloren haben. Das einzig Fortdauernde ist die Anhäufung an arbeitsfreien Tagen, an Feiertagen, die erst die überbordende Lärmerzeugung und Tollerei möglich machten. Nicht denkbar während normaler Arbeits- und Wirtschaftstätigkeit, ja selbst in früherer Zeit eben nur während der Winterruhe möglich.

Emanzipation. Da ist einmal der emanzipatorische Grund zu nennen, die Besetzung des öffentlichen Raums auch durch arme und rechtlose Mitbürger. Dann die Egalität beim Lärmen. Die Beteiligung auch ohne musikalische Ausbildung, ohne Musikgehör und ohne teures Gerät. Zudem kommt das Rollenspiel des Verkleidens, der Anonymisierung. All dies wird bei der etwas "völkischen" traditionellen Brauchtumsforschung nicht oder wenig bedacht.

Tourismus. Das was als Brauchtum heute im wahrsten Sinne des Wortes "gepflegt" wird, das muss seit dem 19. Jahrhundert von Lehrern und Vereinen organisiert am Leben erhalten, eben gepflegt werden. Vielerorts ist es mit Nationalismus und und der Ideologie von der "guten alten Zeit" wiedererfunden und nicht wiederbelebt worden. Wenn etwa die "Ulsüüter" in der Schweiz Ohrstöpsel tragen müssen um ihren "Brauch" zu ertragen, dann kann man rasch auf das Alter dieses Brauchtums schließen. Vielerorts hat dieses Brauchtum nur als Tourismusattraktion überhaupt Sinn und ist nicht etwa - wie es Brauchtumspfleger gerne behaupten - dadurch erst sinnentleert worden.

Placebo. Das Silvesterknallen ist wohl kein Brauchtum sondern ein emanzipatorisches, egalitäres Ventil. Vielleicht auch ein Placebo. Der  Zusammenhang mit Technoszene und Discolärm drängt sich auf, das tranceartige irrationale Verhalten in der anonymisierten Menge ist wohl als eine Fortsetzung alter Lärmbräuche nicht wirklich beschrieben.
 
Lärmerei zum Jahreswechsel lässt sich freilich seit dem 16. Jahrhundert nachweisen. Einmal mit mehr Obrigkeit, einmal weniger. Manchmal in "geordneten" Lärmumzügen, aber auch als reine Freude am chaotischen Durcheinander. Klopfen und Klöpfeln, Trommeln und Rummeln, Peitschenknallen und Schießen, Feuerwerk und Musizieren, Singen und Glockenschellen treten in diesem Zusammenhang auf. Und vor allem zu Silvester, das heute durch Feuerwerkskörper eine Ergänzung gefunden hat. Ja das Glockenläuten in Kirchen kann dazugehören. Wenig beachtet auch, dass es sich fast ausschließlich um männliche Lärmerei handelt.

Bludenz. Dass die Feuerwerkerei immer auch von der Obrigkeit beachtet wurde, schließlich gefährdeten die Unfälle nicht nur die Produktivkraft sondern belasteten auch die Armenkasse und wurden im Zeitalter der Aufklärung als "nutzlos" verstanden, darauf verweist das Vorarlberger Landesarchiv im Rahmen der Online-Ausstellung "Archivale des Monats": Das Landgericht Sonnenberg htatte am 30. Dezember 1820 den Magistrat der Stadt Bludenz angewiesen, den in einigen Gemeinden nach wie vor geübten "gesetzwidrigen Unfug" des "Neujahr-Anschießens" zu unterbinden. Mit einer Bekanntmachung vom 7. Dezember 1823 kam der Bludenzer Bürgermeister Schedler dieser Aufforderung endlich auch nach und erklärte, "dass gegen die Uebertretter, wenn sie auch erst nach der Handlung bekannt werden", unnachsichtig vorgegangen werde.



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