Donnerstag, 24. März 2022

[ #Schlins ] Die Erfindung eines Vorarlbergers: Das evangelische Pfarrhaus


Durch den Zölibat war es katholischen Priestern nicht möglich zu heiraten und eine Familie zu gründen. Wer die höheren Weihen empfangen wollte, war dem Zwangszölibat unterworfen. 

Die Reformatoren sprachen sich eindeutig gegen den Zwangszölibat aus. Von 1520 an heirateten evangelische Theologen. Auf dieser Grundlage entstand das evangelische Pfarrhaus, das die Familie des Pfarrers beinhaltet (Pfarrer, Pfarrersfrau, Pfarrerskinder).

Evangelisches Pfarrhaus. Bartholomäus Bernhardi (1487 - 1551) gilt als der erste Pfarrer der  in den Ehestand getreten ist (Frühjahr 1521) und dafür nicht hingerichtet wurde, da der damalige Kürfürst Friedrich der Weise Bartholomäus Bernhardi nicht auslieferte. Er heiratete 1521, noch vier Jahre früher als Luther. Die "Schutzhaft" Luthers auf der Wartburg hinderte diesen an der ersten Verehelichung eines Priesters teilzunehmen. Deftig gratulierte ihm Luther aus der Wartburg: "dass er den neuen Ehemann bewundere, der in dieser stürmischen Zeit nichts fürchte und dazu so sich beeilt habe. Gott wolle ihn leiten und geben, dass er in dem sauren Salat, den er sich damit angerichtet habe, doch auch einige Süßigkeiten verspüren möge."

Aber das ist nur der sensationelle Teil der Nachricht, dass ausgerechnet ein vorarlbergstämmiger Priester der erste verheiratete in diesem Metier war. Der nachhaltigere Aspekt ist der des evangelischen Pfarrhauses, das mit seiner Verehelichung von ihm begründet wurde. Das Pfarrhaus war immer eine kulturtragende Institution, oft die einzige in der Gemeinde. Die meisten Pfarrerskinder erhielten eine solide kulturelle Ausbildung. Aus dem Pfarrhaus gingen viele bedeutende Wissenschaftler und Künstler hervor. Von den 1.631 in der "Allgemeinen deutschen Biographie" behandelten Männern stammten 861 aus dem evangelischen Pfarrhaus. Die Pfarrersfrau hielt zuerst ihrem Mann den Rücken frei für seine Arbeit. Sie unterstützte ihn zwar auch bei seiner Gemeindearbeit, hielt sogar sehr oft das Pfarrhaus aufrecht und am Laufen, aber das wurde als normal und vorerst wohl nicht weiter erwähnenswert angesehen. Erst in neuerer Zeit, da sie oft auch einen eigenen Beruf ausübte, hat sich das Bild der Pfarrersfrau so grundlegend geändert und hat mit der Berufung von Pfarrerinnen einen zeitgemäßen Wandel in der Rollenverteilung im Pfarrhaus mitbewirkt. Jetzt übernimmt immer öfter eine Frau die Arbeit in den protestantischen Gemeinden, ihr zur Seite ein "Pfarrerinnenmann".


Bernhardi Bartholomäus. (*24.8.1487 in Schlins/Feldkirch, †21.7.1551 in Kemberg bei Wittenberg) Bartholomäus Bernhardi studierte in Erfurt, war seit 1504 in Wittenberg und wurde Magister artium. In Chur erhielt er die (katholische, altgläubige) Priesterweihe, kehrte aber bald nach Wittenberg zurück und wurde Professor der Physik, 1512 Dekan der Philosophischen Fakultät und 1518 Rektor der Universität. Bartholomäus Bernhardi promovierte 1516 zum Lic. theol. unter dem Vorsitz Martin Luthers, auf dessen Seite er 1517 im Ablassstreit stand und wurde 1518 Propst und Pfarrer in Kemberg. Bartholomäus Bernhardi verkündigte nicht nur die evangelische Lehre, sondern trat auch 1521 als erster Prediger in den Ehestand. Er vermählte sich trotz seines Priestergelübdes in Kemberg mit der Kemberger Bürgerin Gertraude Pannier. Aus dieser Ehe gingen sieben Kinder hervor. Damit wurde er der Begründer des evangelischen Pfarrhauses. Der Erzbischof von Magdeburg, Kurfürst Albrecht von Mainz, verlangte vom Kurfürsten von Sachsen, Friedrich dem Weisen, die Auslieferung Bernhardis an das geistliche Gericht. Zu seiner Rechtfertigung sandte Bernhardi dem Erzbischof eine Verteidigungsschrift: "Apologia pro M. Bartholomaeo praeposito, qui uxorem in sacerdotio duxit", die in mehreren lateinischen und deutschen Ausgaben in Erfurt und Wittenberg 1521 und 1522 erschien. Da sich der Erzbischof mit dieser Rechtfertigungs- und Verteidigungsschrift nicht zufrieden gab, wandte sich Bernhardi an seinen Landesherrn, den Kurfürsten von Sachsen, der seinen Prediger schützte und nicht auslieferte.

Berhardis Ehe war auch von dem Reformator Karlstadt in einer Druckschrift verteidigt worden ("Das die Priester Eeweyber nemen mögen vnd sollen. Beschutz red des würdigen herren Bartolomei Bernhardi, probsts zü Camberg, so von Bischoff von Meydburg gefordert, antwurt zü geben, das er in priesterlichem standt, eyn iungkfrauw zü Ee genommen hatt." Andreas Rudolff-Bodenstein von Karlstadt - Strassburg: Reinhard Beck Erben 1522). Karlstadt war wiederum wegen Berhardi erst zum Reformator geworden. Er war anfangs ein Gegner der neuen Theologie Luthers, den er am 18.10.1512 zum Dr. theol. promoviert hatte und wollte ihn aus Augustinus widerlegen, kam aber durch das Studium der Schriften Augustinus zu der Erkenntnis, dass Luthers Schüler Bartholomäus Bernhardi, der am 7. September 1516 die ockhamistische Lehre, dass der Mensch aus eigener Vernunft und Kraft die Gebote Gottes erfüllen könne, bestritten hatte, doch recht habe, und trat nun selber am 26.04.1517 mit 151 Disputationsthesen "de natura, lege et gratia" öffentlich für die neue Lehre ein.

Index Librorum Prohibitorum. An prominenter Stelle steht deshalb seit der ersten Veröffentlichung des "Index Librorum Prohibitorum" auch  Bartholomäus Bernhardi aus Schlins, übrigens neben drei anderen "Feldkirchern". Der "Index Librorum Prohibitorum" war ein Verzeichnis der für jeden Katholiken bei Strafe der Exkommunikation verbindlich verbotenen Bücher. Besonders schwer wog die Sanktion bei Nichteinhaltung des Index für gläubige Katholiken: die von selbst eintretende Exkommunikation, also der Ausschluss von den Sakramenten. Die Strafe trat in Kraft beim Lesen verbotener Bücher, beim Verteidigen ihres Inhalts, beim Aufbewahren solcher Schriften, bei ihrer Weitergabe.


Vorarlberger im Bild.  Berühmt ist Lukas Cranachs (d.Ä.) Dessauer Abendmahlsbild, das auch einen "Vorarlberger" zeigt. Dieses Abendmahlsbild von Cranach ist ein "Who is Who" der Reformation: Es versammelt alle wichtigen mit der Reformation verbundenen Leute in Deutschland: den Stifter Joachim von Anhalt, den Maler Lukas Cranach, Herzog Georg von Anhalt (nach neueren Forschungen handelt es sich jedoch um Georg Helt), Martin Luther, Bugenhagen, Justus Jonas, Caspar Cruciger, Melanchthon, Johann Forster, Johann Pfeffinger, Georg Major und den aus Schlins/Feldkirch stammenden Bartholomäus Bernhardi. Dieses Bild ist als Epitaph für den Dessauer Fürsten Joachim (geb. 1509) gestiftet worden von seinen Neffen Fürst Joachim Ernst und  Bernhard. Fürst Joachim war der erste Landesherr Anhalts, der in Anhalt den reformierten Glauben einführte. Das Bild hing ursprünglich in der Kirche St. Marien in Dessau. Zum Glück überstand es die Zeitläufe und befindet sich heute in der Johanniskirche in Dessau.

In Kemberg steht ebenfalls ein Cranach-Altar, allerdings von Cranach dem Jüngeren. Wie in dieser Zeit bei einer Reihe von Altären und Epitaphen üblich, ist auch hier das Bild der Taufe Christi um eine Gruppe von Reformatoren vermehrt, in der neben dem amtierenden Propst Matthias Wenckel die Bildnisse von Luther, Melanchthon, Bugenhagen, Bernhardi, aber auch des vierundfünfzigjährigen Lucas Cranach erscheinen. Leider ist dieser Altar 1994 bei einem Brand erheblich beschädigt worden. Allerdings hat dieses Bild  der Nachwelt erhalten werden können.

Wie sehr Luther den "Feldkircher Bartholomäus" schätzte, geht aus dem Schreiben Martin Luthers Mitte Oktober 1516 an seinen Ordensmitbruder in Erfurt, den Augustiner Johannes Lang hervor: "Es besagt nichts, dass sich Deine Gabrielisten über meine, vielmehr des Bartholomäus Feldkirchen Thesenreihe (Anm.: De viribus et voluntate hominis sine gratia) verwundern, da sich auch die Meinigen bisher gewaltig darüber wundern. Freilich ist die Thesenreihe selbst nicht von mir gemacht, sondern Magister Bartholomäus hat sie so aufgestellt, nämlich bewogen durch das Geschwätz der Kläffer gegen meine Vorlesung. Ich weiß, was Gabriel sagt: Es ist alles treffend, außer wo er von der Gnade, der Liebe, der Hoffnung, dem Glauben, den Tugenden redet; wieviel er da mit seinem Skotus pelagianisiere, ist nicht derart, dass ich es jetzt brieflich vorbringen könnte."

Jodok(us) Mörlin (lateinisiert "Maurus"). Die Feldkircher Familie Mörlin war im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit ein wappenführendes Patriziergeschlecht. Immerhin war sie so bedeutend, dass ihr Wappen noch 1936 auf dem Feldkircher Rathaus angebracht wurde.  Jodok Mörlin wurde um 1490 in Feldkirch geboren. 1508 studierte er in Freiburg, 1509 mit einem Stipendium in Leipzig, und 1510 in Wittenberg. Hier machte er dann Karriere: 1512 wurde er Magister, 1514 Professor der Metaphysik, und 1516 Dekan der Wittenberger Artistenfakultät. Für einige Jahre blieb Jodok Mörlin als Professor der Philosophie an der Universität Wittenberg, 1521 Pfarrer in Westhausen in Thüringen: "Denn nachdem der letzte päpstliche Pfarrer Henningus Gode anno 1520 mit Tod abgegangen, und der Pfarrdienst vacant worden war, so wurde 1521 im Frühling M. Jodocus Morlinus, Presbyter Magdeburg Diözes und Professor Philosophie zu Wittenberg, von dem Kurfürsten Friedrich dem Weisen und seinem Bruder Herzog Johannsen zu Sachsen, dem Bischof Konrad zu Würzburg, als eine wohlqualifizierte Person, zu solchen Pfarrdienst präsentiert, auch auf Befehl des Weihbischofs, Joh. von Guttenberg, durch den Archidiakonus Joh. von Lichtenstein anno 1521, den 9. April, gewöhnlicher Maßen investiert und eingewiesen". Sein Sohn Joachim Mörlin wurde Bischof von Samland in Königsberg und hatte durch seine Mitarbeit am  "Corpus Prutenicum" die kirchliche Reorganisation Preußens bewerkstelligt! Im dortigen Dom errichtete man ihm zu Ehren gar ein Denkmal.

Johannes Dölsch. Er aus Feldkirch stammend, wurde auch einfach Doctor Feldkirch genannt und tritt zweimal in den ersten Jahren der lutherischen Reformation hervor. Als Eck im Jahre 1520 mit seiner Bannbulle aus Rom kam und außer Luther auch noch eine Reihe von Anhängern Luthers mit dem Bann gestraft wurden, gehörte auch Dölsch zu ihnen. Er war damals Professor der Theologie und Stiftsherr in Wittenberg, hatte Luther in einer Schutzschrift verteidigt, und Eck muss ihn wohl für bedeutend genug gehalten haben, um gegen ihn vorzugehen. Von den Wittenberger Professoren war nur noch Carlstadt diese "Ehre" zuteil. Später spielte er eine Rolle in den Wittenberger Unruhen, die die Abschaffung der Messe begleiteten. Er widersetzte sich Luthers Vorgehen und hatte sich den Zorn seines großen Freundes zugezogen. Die erste Spur von Johannes Dölsch findet sich 1502 in der Heidelberger Matrikel. Hier ist er mit zwei andern Feldkirchern immatrikuliert als: Johannes Piliatoris de Feltkirchen nona Decembris Wolfgannus Thischer Curiensis dioc.Vtalricus Scriptoris. Die drei Studenten, zu denen sich ein Vierteljahr später noch zwei Landsleute gesellten, waren in Heidelberg seit längerer Zeit die ersten Studenten aus Feldkirch. In Heidelberg blieb Dölsch vom Dezember 1502 bis zum Ende des Wintersemesters 1503/4. Im Sommer 1504 zog er mit Bartholomäus Bernhardi und Christoph Metzler (dem späteren und ersten nichtadeligen Bischof von Konstanz) nach Wittenberg. Hier sind alle drei im Sommer (23. Mai) immatrikuliert. Im Herbst wurde er Baccalaureus, in angaria sanctae crucis (= 18. Sept 1504).  Anderthalb Jahr später, am 10. Februar 1506, wurde er  Magister artium als zweiter unter elf. Im nächsten Jahre finden wir ihn wieder in Feldkirch, als neugeweihten Priester. Der katholischen Sitte gemäß hat er in der Pfarrkirche seiner Heimatstadt seine Primiz. Dölsch kam danach nach Wittenberg zurück, um sich hier der akademischen Laufbahn zu widmen.

Protestanten in Vorarlberg. Dass Luthers Lehre auch in Bernhardis früherer Heimat zu dieser Zeit Niederschlag fand, zeigt die Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde in Feldkirch: Sein Bruder Johannes versucht in einer Reihe von populären Schriften die Theologie Luthers in Vorarlberg bekannt zu machen. Er muss Pseudonyme verwenden, so z.B. Hans Walser zum Roten Brunnen. Nachdem die drei Freunde Dölsch, Bartholomäus Berhardi und Christoph Metzler 1504 zuerst die Reise nach dem neugegründeten Wittenberg unternommen, strömten die Feldkircher in auffallender Menge nach, erwarben sich auch gerne hier einen akademischen Grad, besonders in den späteren Jahren, als Luthers Stern aufgegangen war. Ein Blick in die Liste der Baccalaurei und Magistri bestätigt dies.

Um 1520 wird in Feldkirch evangelisch gepredigt (Jeremias Lins, Hieronymus Pappus). Die "neue" alte Botschaft des Evangeliums findet in der Bevölkerung dankbaren Zuspruch. Jedoch nicht bei der Regierung. Die beiden in Bludenz evangelisch predigenden Pfarrer Luzius Matt und Thomas Gasser werden von der Regierung zwar zunächst gefangen gesetzt, jedoch von der Bürgerschaft wieder aus dem Gefängnis befreit. Theologen, Nonnen, aber auch "Laien" werden um ihres Glaubens willen aus Feldkirch vertrieben und wirken in anderen Gebieten - hauptsächlich in Deutschland - weiter für die Reformation. Bekannten sich auch viele Laien wie auch Theologen zur protestantischen Lehre so mussten sie alle das Land verlassen und erhielten in protestantischen Ländern Asyl. Es war nicht einmal erlaubt, im Ausland bei einem Protestanten eine Arbeit anzunehmen. Der aus Feldkirch vertriebene Pirmin Gasser, der seinen Sohn auf den Namen Luther taufen ließ, wirkte als Stadtarzt in Lindau und so erging es auch Jodok Mörlin, der in Wittenberg wirkte. Als Zwangsmaßnahme wird ein Beichtspiegel verfasst: Jeder, der zu Ostern nicht bei der (Pflicht-)Beichte war, wird befragt und muss bei mangelnder Rechtfertigung die Stadt verlassen.

Eine größere Zahl von Bürgern verlässt lieber das Land, als die religiöse Überzeugung aufzugeben. So auch Hanns Salzmann, ein Feldkircher Bürger, der zu Protokoll gibt, er gehe dann zur Beichte, wenn sein Herz danach verlangt, nicht weil es äußere Pflicht sei; er wolle Feldkirch verlassen und dennoch als ein guter Feldkircher sterben.


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