Samstag, 17. Juni 2023

[ #Bludenz ] Inkognito: Der Bludenzer Landratsbeamte "Dr. Kurt Freiherr"


In Bludenz gelang es dem im Untergrund lebenden Juden Dr. Walter Leopold aus Leipzig, unter dem Pseudonym Kurt Freiherr unerkannt vom 15. September 1944 bis zur Befreiung im Mai 1945 unentdeckt zu bleiben.

Walter Leopold hatte unter Fred Grubel (Fritz Grübel) in der Steuerabteilung der Jüdischen Gemeinde in Leipzig gearbeitet. Verschiedentlich wird angegeben, dass Walter Leopold bereits im November/Dezember 1938 in Buchenwald in Haft war. Nach Fred Grubel, dem späteren Leiters des Leo-Baeck-Institutes in New-York, der selbst 1938 in Buchenwald inhaftiert war, stellt es sich jedoch im Wesentlichen so dar, dass Dr. Walter Leopold den Umsiedlungsversprechen der Nazis nicht glaubte und sich vor der Deportation durch Untertauchen rettete.

Sonderghetto Theresienstadt. Die Familie sollte nämlich mit dem vierten Transport am 19. September 1942 in das Sonderghetto Theresienstadt aus Leipzig deportiert werden. Der erste und auch größte „Judentransport“ nach Theresienstadt verließ, aus Weimar kommend, am späten Abend des 19. September 1942 Leipzig. 440 jüdische Männer, Frauen und Kinder mussten sich am Vortag in Leipzig bei der Sammelstelle einfinden. Am 19. September wurden die Menschen zum Güterbahnhof Engelsdorf gebracht, wo sie in aufgestellten Zelten mehrere Stunden auf die Ankunft des Zuges aus Weimar mit Schicksalsgefährten aus Thüringen warteten. Auch aus Halle (Saale) wurden Juden mit einem Omnibus für den Weitertransport zum Güterbahnhof gebracht. Am 20. September kam der Transport mit 877 Menschen in Theresienstadt an. Darunter 14 Mitarbeiter der Leipziger jüdischen Gemeindeverwaltung sind am 19. September 1942 mit nach Theresienstadt deportiert worden. Vierzehn jüdische Personen entzogen sich durch den Freitod der Deportation.

Eine jüdische Familie, die ebenfalls deportiert werden sollte, fehlte. Sie wurde von nichtjüdischen Bekannten versteckt und hielt sich tagsüber unter freiem Himmel in Parks auf, wo sie von ihren nichtjüdischen Helfern auch mit Lebensmittel versorgt wurden. Walter und Hilda Leopold und die 5-jährige Tochter Anneliese tauchten just am 17. September 1942 unter und hielten sich bis zum 4. Dezember 1943 versteckt. Nach einem schweren Luftangriff auf Leipzig meldete Walter Leopold mit einem gefälschten Ausweis als Dr. Kurt Freiherr aus Mannheim eine neue Identität an. Das Ausweisdokument hatte ihm einer seiner nichtjüdischen Helfer besorgt. Dieser war als Verwaltungshelfer bei der Reichswehr und hatte dort einen unbenutzten Militärpass entwendet und auf Dr. Freiherr gefälscht. In den Wirren der Bombennacht gelang das Täuschungsmanöver. Zudem konnte die Polizei aus Mannheim keine Akten einholen, da diese ebenfalls bei den Luftangriffen vernichtet worden waren.

Die Familie lebte noch einige Monate in Leipzig, ging dann aber aus Furcht, entdeckt zu werden, nach Bludenz. Möglicherweise kannten sie die Alpenstadt aus früheren Ferienaufenthalten, gesichert ist das nicht und wäre wohl auch nicht sinnvoll gewesen, sich einer Entdeckung auszusetzen. Sie lebten dann auch tatsächlich bis zum Kriegsende in Bludenz, wo Walter Leopold auf dem Landratsamt arbeitete. Geschulte Verwaltungsbeamte waren zu diesen Kriegszeiten rar und nach der Schilderung des oben erwähnten Fred Grubel musste der Bludenzer Bürgermeister gar eine Sonderbewilligung beim Gauleiter in Innsbruck wegen der Beschäftigung eines NICHT-NSDAP-Mitgliedes einholen, weil Dr. Kurt Freiherr eine Entdeckung fürchtete, wenn er eine NSDAP-Mitgliedsanmeldung angestrebt hätte. Kurzum es gelang. Er soll sich auch dem Widerstand angeschlossen oder daran beteiligt gewesen sein.

Als die französische Armee in Vorarlberg zu Kriegsende einrückte und sich Dr. Kurt Freiherr aus Mannheim als Dr. Walter Leopold aus Leipzig zu erkennen gab, war er zwar der Verfolgung durch Nazi-Schergen sicher, aber nicht ohne weitere Probleme. Als er den "neuen" österreichischen Verwaltungsbehörden seine wahre Identität eröffnete, entließen sie ihn sofort als "Ausländer, andere klagten ihn gar als "Nazi-Kollaborateur" an, damit sie an seine Wohnung kommen konnten. Schlußendlich zeigte sich aber der französische Kommandant einsichtig. Angeblich überreichte ihm der Kommandant das eben vor dem Einmarsch in Vorarlberg von Berlin eingetrofene Todesurteil gegen ihn. Danach waren die Franzosen dann zumindest für die Familie des Dr. Walter Leopold noch rechtzeitg als Befreier in Vorarlberg einmarschiert.

Dr. Walter Leopold wanderte danach mit Hilfe jüdischer Freunde 1951 in die USA (Cincinnati, Ohio) aus und bekam eine Stelle als Nachtwächter in einem Schlachthaus. Kurz darauf verstarb er aufgrund eines Herzanfalles.


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