Dienstag, 16. Mai 2023

[ #Montafon ] Das Montafon als Mutationswerkstätte der Natur


"Eine solche Mutationswerkstätte der Natur für die Gerste ist das hinterste Montavonertal, namentlich die Gegend um Gaschurn und Parthenen am hintersten Talausgang, wo die zahlreichen Alpenübergänge beginnen."

Getreideanbau. Die Tatsachen, dass mit Grundnahrungsmitteln spekuliert wird, dass immer mehr Fläche für den Anbau von Pflanzen zur Energiegewinnung verwendet wird und die dadurch entstandene enorme Preiserhöhung, haben unter anderem dazu geführt, dass sich Menschen in vielen Regionen der Erde nicht mehr durch den eigenen Anbau ernähren können. Unter den Produkten des Pflanzenbaues ist das Getreide deshalb am wichtigsten, weil mit einem Minimum an Produktionsaufwand ein Höchstmaß an Nährstoffleistung erzielt werden kann.

Gerste. Im alpinen Raum ist Gerste ein häufiges Anbauprodukt gewesen: Die Gerste hat zwar keine geringeren Wärmeansprüche als beispielweise der Roggen, sie steigt jedoch bis in den höchsten Anbaulagen, weil sie die Wachstumszeit verkürzen kann durch den starken Blühimpuls der dazu führt, dass die Blüte bereits während des Ährenschiebens stattfindet. Das wichtigste während der Bronze- und Eisenzeit hier angebaute Getreide war eben die Gerste. Archäologische Funde in Graubünden erlaubten es die Gerste auch als mehrzeilige Spelzgerste zu identifizieren.

Die Gerste ist 17 000 Jahre alt und damit das älteste Getreide der Menschheit. Gerste ist aber nicht nur alt, sie hatte auch stets einen ausgezeichneten Ruf: Im kaiserlichen China zählte sie zu den fünf heiligsten Pflanzen, im antiken Griechenland war sie der Erdgöttin geweiht, und der griechische Philosoph Platon malte sich für seinen idealen Staat Menschen aus, die sich hauptsächlich von Gerste ernähren sollten.

Gerste galt schon im Altertum als Kraftnahrung. Den römischen Gladiatoren wurde sie gekocht vorgesetzt. Tatsächlich bietet Gerste eine solche Vielzahl von Mineralstoffen und Vitaminen wie kaum ein anderes Getreide und enthält reichlich Kieselsäure.

Gerste
  • Kennzeichen: Strohgelbes, rundliches Korn, die rauhen Spelzen sind mit Fruchtsamenschale verwachsen. Nach der Form der Ähre unterscheidet man eine zwei-, vier- und sechszeilige Gerste.
  • Anbau: Gerste ist anspruchslos und gedeiht daher in allen Erdteilen.
  • Arten: Nach der Verwendung: Braugerste, Schälgerste (Speisegerste), Futtergerste. Auch bei Gerste produziert Österreich in guten Erntejahren mehr als im Inland verbraucht wird. Gerste wird zum Teil exportiert.
Montafoner Gerste. Die "Montavoner Gerste" wird als extrem kurzährige Form beschrieben. Paläobotanischen Untersuchungen der letzten Jahre bezeugen nicht nur eine extensiv betriebene Viehwirtschaft im Montafon, sondern auch bereits für das 9. und 10. Jahrhundert den Anbau von Weizen, Hirse, Gerste und Roggen. Die Bestellung der Äcker, die sich aufgrund der topographischen Gegebenheiten vielfach an den Hängen, auch in sehr steilen Lagen, befanden, erfolgte fast durchwegs im arbeitsintensiven Hackbau. Die sechszeilige Gerste konnte hier nur deshalb lange erhalten, weil die Bauern alle 5 bis 6 Jahre eine Ährenauslese vornehmen, damit die sechszeilige Form nicht von der vierzeiligen verdrängt wird.

Wie zu Pfahlbauzeiten. Braungart Richard, der Agrarökonom der Monarchie begründet in seinem Standardwerk (Die Urheimat der Landwirtschaft aller indogermanischen Völker. 1912 S. 374) die Notwendigkeit der Auslese durch ständige Mutationen in lockerährigen sechszeiligen und auch in zweizeiligen Formen, er bezeichnete das Montafon (Montavon) dabei als "Mutationswerkstätte der Natur".
"Ich gehe davon aus, dass die gefundenen abweichenden Ährenformen bei der Auslese nicht zu 100% weggelassen wurden und sie sich, weil sie scheinbar konkurrenzfähiger waren, immer mehr Überhand nahmen. Die Bauern bevorzugten die kurze, sechszeilige Form. Dies wird auch deutlich bei seiner Suche nach dem "Pfahlbauweizen", also Anbaugebieten der im Zuge der Entdeckung der Pfahlbauten auch sichergestellten archäologischen Funde:
Von den (sechszeiligen) Pfahlbaugersten hatte ich in der Tat bis weit hinein ins hinterste Montavon sozusagen nichts gesehen. Als ich aber nach dem Dorfe Gurtepohl, die Flur von Gaschurn (etwa 950 bis 1100 m Seehöhe) erreicht hatte, sah ich zu meinem nicht geringen Erstaunen ganz grosse Feldstücke in fast völlig reinem Bestande mit der langen sechszeiligen Pfahlbaugerste (Hord. hexast. densum) besetzt, die eine geradezu staunenswert schöne Entwicklung hatte.
Das Dorf Gaschurn und - wie ich bald auch sah - ebenso das hinterste und höchste Montavoner Dorf Parthenen (etwa 1050 m ü. M.) bauen auf Hunderten von herrlich bestellten Feldern, welche an den Hängen wie zur Pfahlbauzeit nur mit Karst oder Haue bearbeitet werden, die lange Sechszeilgerste, teils
ganz oder fast ganz rein, teils mehr oder minder stark mit Hord. dist. erectum, auch H. dist. nutans und Hord. vulg. gemengt, wobei es aber nur selten der Fall ist, dass die letzteren im Gemenge herrschend werden. … "

Braungart (1912, S. 374): Das Montafon als Mutationswerkstätte:  „Eine solche Mutationswerkstätte der Natur für die Gerste ist das hinterste Montavonertal (Vorarlberg), namentlich die Gegend um Gaschurn und Parthenen am hintersten Talausgang, wo die zahlreichen Alpenübergänge beginnen. Da findet man die dichtährige Sechszeilgerste noch in Hunderten von Feldern bis hoch hinauf angebaut; die Bauern können aber diese für sie wertvollste Art (Brotfrucht) nur dadurch erhalten, dass sie alle 5 bis 6 Jahre die besten sechszeiligen Ähren heraussuchen und davon den Samen nehmen. Im ersten und zweiten Jahre merkt man wenig vom Ausspringen, da ist alles oder fast alles noch herrliche Sechszeilgerste. Aber vereinzelt schon im zweiten, dann im dritten, sehr stark schon im vierten, fünften und im sechsten Jahre nach der ersten Saat, welche auf die Auslese folgte, finden sich in der im Erntegemenge mehr und mehr zurücktretenden Sechszeilgerste, in Menge eingemengt, die sogenannte Imperialgerste (Hordeum distichon erectum); reichlich, wenn auch minder massenhaft, auch die gemeine oder sogenannte sechszeilige, etwas minder reichlich auch die zweizeilige, lange nickende Gerste; in späteren Jahren mehren sich die gemeine oder vierzeilige, die Zweizeil- und die Imperialgerste; so zeigt sich dieser Bildwechsel überall, und man kann keinen Augenblick mehr im Zweifel sein, dass die gemeine Gerste (Hord. vulgare), die zweizeilige kompakte (sogenannte Imperialgerste), und die zweizeilige, lange, nickende Gerste, Mutanten der dichtährigen Sechszeilgerste sind. Man sehe das Bild der Grundform (Hordeum hexastichon densum a) und der drei Mutanten (Hordeum vulgare c, Hordeum distichon erectum b und Hordeum distichon nutans d), welche ich aus diesen Gerstenfeldern von Garschun-Parthenen im hintersten Montavonertal mitgenommen habe.“

 [Zeitreiseführer #Vorarlberg ]⇒ 

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