Sonntag, 2. Juli 2023

[ #Nenzing ] Ausgrenzung und Privilegierung als kommunales Ordnungsprinzip am Beispiel des Nenzinger Ortsteiles Mariex in Frastanz


Die Archivale des Monats April 2012 des des Vorarlberger Landesarchivs zeigt einen uns heute merkwürdig erscheinenden Streit der Gemeinden Nenzing und Frastanz. Während man im heutigen Verständnis meinen würde, dass sich die Gemeinden um die Vergrößerung ihres Einflussbereiches bemühten, waren sie offenbar um Kleinheit und Begrenztheit der Bürgerzahl engagiert. 

Agrargemeinschaft. Der Sachverhalt weist eigentlich in die aktuelle heutige Zeit, wo der Widerstreit zwischen Agrargemeinschaften (als die alten Bürgergemeinden) und den Gemeinden weiterlebt. Ursprünglich waren alle Gemeindebewohner stets voll gleichberechtigt. Mit der Zunahme der Dorfbewohner durch Zuwanderung und mit dem Aufkommen neuer Berufsgruppen neben dem traditionellen Bauernstand und den Migrationsbewegungen des 20. Jahrhunderts änderte sich dies erheblich. Der Anteil der sogenannten nutzungsberechtigten Gemeindebewohner nahm ab, der Anteil der rechtelosen  Gemeindebewohner nahm laufend zu. Mittlerweile beginnt sich auch bei der Vererbung zumindest langfristig eine Gleichstellung von Männern und Frauen zu realisieren.

Das Ende der Allmende. Der Anspruch auf Nutzung von Wald und Weide gründet(e) in der Zugehörigkeit aus der Mitgliedschaft (Bürgerrecht)  zu einem bestimmten Gemeinwesens. Mitgliedschaft und Anspruch auf Nutzung basieren also auf dem Bürgerrecht und machen einen Teil der Ansprüche dieses Rechtes aus. Für die tatsächliche Nutzung ergaben sich jeweils besondere Sacherfordernisse, wie die Führung eines eigenen Haushaltes "eigener Herd" oder "eigener Husröchi". Objekt sind in der Regel der im unmittelbaren Gemeindegebiet oder im Nachbargebiet liegende Wald und die Alpen. Die Besiedlung und verschiedene Rechts- und Herrschaftsverhältnisse haben jedoch auch zu einer geographisch weiteren Streuung von agrargemeinschaftlichen Nutzungen der Gemeinden geführt. In Vorarlberg gibt es 55 Agrargemeinschaften mit offener Mitgliederanzahl. Die zweite große und zahlenmäßig überwiegende Gruppe (443) sind Nutzungsverbände, in diesem Falle vorwiegend an Alpen mit zahlenmäßig fixierten Anteilen, die wiederum als Besonderheit in Vorarlberg nicht oder nicht mehr an einen Stammsitz gebunden sind.

Die Abstammung von einem berechtigten "Bürger" läßt diese Agrargemeinschaften als solche mit offener Mitgliederanzahl definieren, da keine fixen Anteile bestehen. In Vorarlberg besteht darüber hinaus gegenüber den übrigen Bundesländern noch die Besonderheit, dass die Mitgliedschafts- und Bezugsrechte an diese Agrargemeinschaft durchwegs persönliche Rechte sind und nicht oder nicht mehr an einen Besitz gebunden sind.

Die Agrargemeinschaftsrechte sind also nicht Realrechte, sondern durchwegs persönliche Rechte. Spuren von Realbindungen finden sich noch im Montafon und im Klostertal, jedoch vorwiegend für objektgebundene Nutzungsansprüche an Bau- und Nutzholz oder Ansprüche für den Katastrophenfall. Die Hausbedarfsbezüge sind jedoch durchwegs persönliche Rechte. Die Agrargemeinschaft Nenzing ist noch heute die flächengrößte Agrargemeinschaft des Landes, hat jedoch nur 680 nutzungsberechtigte Bürger (Männer!) von rund 6000 Einwohnern.

Auf der Website des Landesarchivs wird vom "Hexenforscher" Manfred Tschaikner über diesen Streit berichtet:  
"Als es in den Jahren um 1820 aber darum ging, eine der seltsamsten Grenzen in Vorarlberg, nämlich jene zwischen Frastanz und Nenzing, endgültig festzulegen, bemühten sich die beiden Gemeinden dennoch, Mariex und einen Hof in der nahen Au (Bardella) ihrem Nachbarn zuzuschieben. Gemeinwesen waren damals nicht daran interessiert, ihr Siedlungsgebiet auszuweiten, sondern die Zahl der Nutzungsberechtigten am beschränkten Gemeingut gering zu halten. 
Während der Nenzinger Gemeindevorstand – historisch richtig – die Auffassung vertrat, es gebe in diesem Raum keine einfache Grenzziehung, gelang es der Gemeinde Frastanz, das zuständige Landgericht Sonnenberg davon zu überzeugen, dass sie durch den Mariexbach von Nenzing geschieden werde. So verordnete dieses am 3. Februar 1821, dass fortan alle Anwesen im Talboden östlich des Bachs auf Nenzinger Gemeindegrund lägen. Die Frastanzer hatten sich damit auch der ehemaligen Lehenshöfe der Feldkircher Johanniter als althergebrachten Mitnutzern ihres Gemeinguts entledigt und sie der Nachbargemeinde aufgebürdet, wogegen sich diese zwar heftig, aber vergeblich zur Wehr gesetzt hatte."

 

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