Freitag, 29. Juli 2022

[ #Vorarlberg ] Türgga, Türggobrätscha und Vorarlberger Riebel

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Eine Kulturgeschichte des Türgga, des Vorarlberger Riebelmaises, dessen Herkunft man in der Türkei vermutetete. Und Riebel-Rezepte.

Vorarlberger Riebelmais sei ein seit 350 Jahren traditionell angebauter und weitergezüchteter weißer Hartmais der im geografischen Gebiet Vorarlberg regional vermehrt wurde und fast ausschließlich derEigenversorgung diente. So wird das Produkt nun beworrben und: Die Bezeichnung "Vorarlberger Riebelmais" fasst heute zahlreiche ursprüngliche Sorten zu einer Landsorte zusammen. Sie entstand letztlich als im Jahre 2006 auf einer Fläche von 50 m² verschiedene Vorarlberger Riebelmais-Sorten aus einem "Landsorten-Pool" zur Landsorte "Vorarlberger Riebelmais" gekreuzt wurden.

Türgga. Die ältesten Funde von Mais stammen aus der Zeit zwischen 5200 und 3400 v. Chr. aus Südmexiko. Ende des 15. Jahrhundert gelangte der Mais aus Mittelamerika mit den Eroberern bereits in einer großen Vielfalt nach Europa. 1503 war der Mais in den Handelsregistern von Sevilla (Spanien) bereits geführt und durch die Handelsbeziehung gelangte er in den folgenden Jahren nach Venedig. Von dort fand der Mais offenbar auch seinen Weg nach Vorarlberg. Die ursprüngliche Herkunft aus Amerika war hier wohl nicht einmal vergessen, sie war wohl nicht bekannt. Aus der irrtümlichen Zuordnung zu den Osmanen entstanden die Bezeichnungen für Mais in Verbindungen mit den "Türken": "Welschkorn" und "Türkischer Weizen", in Vorarlberg und Tirol oft auch kurz "der Türken", analog heißt der Mais auch auf Italienisch "granoturco" in Vorarlberg mundartlich "Türgga".

Riebelmais wird seit etwa 350 Jahren im gesamten Vorarlberger und Schweizer Rheintal, vorwiegend in den Talschaften, angebaut. Jedenfalls ist für das Jahr 1682 in Hohenems belegt, dass mehre Bauern "tirckhisch Korn" als Zehent leisteten. Ob man den Vorarlberger Riebelmais wirklich als den ältesten Lebensmittelmais nördlich der Alpen bezeichnen kann, wie dies behauptet wird, ist wohl fraglich. Aber allemal hatte der Anbau ein geroße Bedeutung und das Vorarlberger Brauchtum beeinflusst.

Türggobrätscha. Das Donbirn Lexikon liefert uns einen Bericht über den Brauch des "Türggobrätscha", damit ist das gemeinschaftliche Schälen von Maiskolben mit anschließendem Verknüpfen und Aufhängen der Kolben auf dem Dachboden, gemeint, das in geselliger Runde und mit Gesellligkeiten verbunden stattfand. Der Maisanbau verlangte im Gegensatz zu anderen Getreidesorten viel Handarbeit und damit auch gemeinschaftlichen Einsatz. So erfolgten Anbau, Ernte sowie das Entfernen der Hüllblätter und Abrebeln der Maiskörner bis in die 1950er Jahre manuell.

Mais hatte über viele Jahre ein "Arme-Leute"-Image weil er in Notzeiten das Überleben sicherte und zur Selbstversorgung der Arbeiterschichten oder Kleinhandwerker eine bedeutende Rolle spielte. Der Riebelmais entwickelte sich denn auch ziemlich rasch zur Ernährungsgrundlage der bäuerlichen Bevölkerung des Vorarlberger Rheintales. Er wurde im 19. Jahrhundert fast ausschließlich zum Zweck der Eigenversorgung angebaut.

Riebel. Für den typischen Riebel werden Mais- und Weizengrieß in Milch mit etwas Salz aufgekocht, bis ein fester Brei entsteht. Früher wurde der Brei oft schon am Vorabend zubereitet und über Nacht zugedeckt ruhen gelassen. Danach wird der Brei in einer Pfanne mit Butter oder Schmalz langsam "gebacken". Durch das ständige Stochern mit einem flachen Kochlöffel entsteht der Riebel aus rundlichen, leicht angebackenen, unregelmäßigen Klumpen. In der einfachen und häufigsten Form wird er mit Kaffee oder Milch gegessen. Mit Rosinen, Zucker und Zimt entsteht aus dem Riebel eine Süßspeise. Oft wird er zusammen mit Apfelmus oder Kompott verzehrt. Bei modernen gastronomische Varianten werden während des Backens frische Kirschen oder Beeren dazugemengt.

Das Ende des Maisanbaus. Das Jahr 1869 gilt mit einer Anbaufläche von 1832 ha (3071 Joch) als Höhepunkt des Riebelanbaus. Mit dem Bau der Arlbergbahn im Jahre 1884 gelangte vermehrt Getreide aus den östlichen Österreich und aus Ungarn durch den Arlbergtunnel nach Vorarlberg. Weizen wurde billiger, der Brotkonsum stieg (auch mit dem Wirtschaftswachstum) und der Maisanbau als Eigenversorgung verlor seine Bedeutung.

1947 wurden in Vorarlberg noch ca. 600 ha Riebelmais angebaut, 1960 waren es 160 ha und 1966 nur mehr 48 ha. 2005 wurde in Vorarlberg Riebelmais nur mehr auf ca. 30 Kleinflächen angebaut. Die Landwirtschaft legt trotzdem Wert drauf, dass die über Jahrhunderte den Riebelmais züchtenden Haushalte hätten aus eigenen Samen weiter angebaut, sodass es heute in Vorarlberg noch zahlreiche verschiedene Originalherkünfte von Riebelmais geben soll.


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