Dienstag, 4. Oktober 2022

[ #Hohenems ] Salomon Sulzer - Einer der bedeutendsten Vorarlberger


Die Legende berichtet, dass Salomon Sulzer mit elf Jahren in Hohenems beinahe ertrunken wäre. Die Familie gelobte darauf, ihn zum Kantor ausbilden zu lassen. Tatsächlich bewarb sich Sulzer bereits mit dreizehn Jahren und schaffte über seinen Tod am 17. Januar 1890 hinaus berühmt zu werden.

Legende. Die Encyclopaedia Britannica sagt ... he earned the sobriquet “father of modern synagogue music” and the respect of such composers as Franz Liszt, Robert Schumann, and Franz Schubert. An important publication was Shir Zion (1840–66; “Song of Zion”), a comprehensive collection of music for the sabbath, festivals, and holy days, for cantor, choir, and congregational responses with...: " Shir Zion ist auf der Website www.shulmusic.org vollständig digitalisiert online und kann als Zip-Datei heruntergeladen werden. www.ShulMusic.org wird von Stephen Simpson, einem nach Israel ausgewanderten Briten organisiert, der urheberrechtsfreie jüdisch-religiöse Musikwerke online stellt.


Kein Zweifel: Er gehört zu den bedeutendsten Persönlichkeiten die Vorarlberg je hervorgebracht hat. Aber wissen wir über diesen bedeutenden Vorarlberger wirklich Bescheid?

Synagogengesang, Goethe, Revolutionslieder. Das kompositorische Hauptwerk Sulzers, das auch seinen Ruf als Reformator des Synagogengesangs begründete, ist das in zwei Teilen erschienene "Schir Zion" (Gesang Zions) mit zum überwiegenden Teil selbst komponierten Werken für den gottesdienstlichen Gebrauch. Unter den frühen modernen Synagogenkomponisten hat Sulzer am radikalsten mit dem überkommenen jüdischen Chorstil gebrochen. Salomon Sulzer gelang es, den westeuropäischen Synagogengesang von den bloßen Schönheitsversuchen und Übertreibungen zu befreien und er war der erste Kantor, der Noten- und Harmonielehre vollständig beherrschte. Er schrieb Kompositionen, die alt und neu miteinander vereinten, und erstmals in der jüdischen liturgischen Musik Harmonien vorführten. Nur wenige Sulzers frühe Chorsätze lehnen sich an starke traditionelle Weisen an. In den meisten finden wir keine jüdische und keine christliche, sondern eine allgemein humane Religiosität, stille Andacht und fromme Stimmung etwa im Geist der zeitgenössischen Malerschule der "Nazarener". Die neuen Kompositionen wurden zum ersten Mal mit vierstimmiger Chorbegleitung geschrieben und beeinflussten den Gebetsstil in vielen Synagogen. "Schir Zion", in dem alle Gebete des Jahres gesammelt sind, prägt den Synagogengesang bis in die heutige Zeit und ist für die Judenheit eine mit den Kantatenjahrgängen von Johann Sebastian Bach vergleichbare Sammlung gottesdienstlicher Musik.


Shir Zion. In "Shir Zion I" ist musikalisch nur wenig genuin Jüdisches anzutreffen; die uralten, so genannten "Mi-sinai-Melodien" tauchen nur vereinzelt und entstellt auf; die einfache Dur-Moll-Harmonik und die Periodizität der Wiener Klassik dominieren. Siebenunddreißig Werke christlicher Komponisten wie Ignaz von Seyfried, Joseph Drechsler, Franz Volkert, Wenzel Wilhelm Würfel und allen voran Franz Schubert nahm Sulzer 1840 in sein "Shir Zion I" auf, ohne die Namen der Urheber zu verschweigen! Charakteristisch synagogal dagegen sind vor allem die Solorezitative für den Kantor und das responsoriale Wechselspiel zwischen Kantor und Chor, das die traditionelle Teilnahme der Gemeinde am Gottesdienst stilisiert. Einen real praktizierten Gemeindegesang lehnte Sulzer, der einer rein künstlerischen Ästhetik huldigte, energisch ab.


Muezzin der Türken. In "Shir Zion II" (1866) nimmt die Tradition allerdings wieder einen größeren Raum ein. Es waren schließlich Chasanim aus dem von Sulzer und seinesgleichen gering geschätzten, orthodox-konservativen Osteuropa, die ihn in Kontakt mit der in Polen und Russland noch liebevoll gepflegten traditionellen Chasanut brachten. Sie waren nach Wien zu dem respektvoll bewunderten Kantor gekommen, um sich den neuen Stil anzueignen und hinterließen ihrerseits markante Spuren, die sich in "Shir Zion II" nachhaltig bemerkbar machten. 163 von insgesamt 372 Nummern tragen die Bezeichnung "A. W." ("Alte Weise"). Der größere Teil dieser 163 ist natürlich für den Vortrag des Kantors bestimmt, und beeindruckten diese Gesänge und Rezitative die Zeitgenossen als eigenartig und "orientalisch". Sulzers Version von Jehuda Halevis berühmtem Zionslied erinnerte 1866 den Musikkritiker der "Neuen Freien Presse" Eduard Hanslick an den Muezzin der Türken und offenbarte ihm die Verwandtschaft jüdischen und orientalischen Gesangstils. Neben dem kompositorischen Hauptwerk "Shir Zion" in zwei Teilen existieren noch der Band "Dudaim" (1860) mit Chören für Kleinstbesetzung und eine Fülle von Gelegenheitsarbeiten weltlicher Natur.


Jüdischer Aufbruch in die Moderne. In den heutigen säkularen Zeiten wird Salomon Sulzer allenthalben als Gesangsbuchautor abgetan oder in die Reihe der "Denkmäler der Tonkunst in Österreich" gestellt. Außer Acht gelassen wird bei dieser "Würdigung", dass die Synagoge per Definitionem kein "Gotteshaus" wie die Kirche ist, sondern ein Haus der Versammlung, ein Haus der Gemeinde. Wie kaum einem anderen Kantor gelang Sulzer eine so unnachahmliche und überzeugende Mischung aus modernem Kunstanspruch, Tradition und praktischer Anwendbarkeit für die Synagoge. Daneben war Salomon Sulzer aber auch als Komponist weltlicher Lieder tätig: Neben Revolutionsliedern zum 1848er Jahr vertonte er unter anderem Gedichte von Goethe. In die 1848er Revolution war er so verstrickt, dass er sich für kurze Zeit gar im Gefängnis wieder fand. Sulzer gehört als Erneuerer der Synagogenmusik zu den Vorreitern der Moderne, wie übrigens auch der aus Böhmen stammende Rabbiner Abraham Kohn, der in Hohenems bedeutende Reformen durchsetzte. Sulzer war ein begnadeter Sänger und musikalischer "Superstar" seiner Zeit, ein Freund Schuberts und anderer Musikgrößen. Er ist eine Ikone des jüdischen Aufbruchs in die Moderne und kann nicht nur eingeschränkt als die bedeutendste jüdische Persönlichkeit angesehen werden, die Vorarlberg hervorgebracht hat. Er ist einer der Größten überhaupt, derer sich Vorarlberg rühmen darf!

Weggenossen - Zeitgenossen. Zu seinen Zeit- und Weggenossen gehörte die klassische Wiener Musikszene. Sulzer nahm an den Wiener Schubertiaden teil, sang oft und gern Schuberts Lied "Die Allmacht" . Er musste auch wiederholt öffentlich aufgetreten sein, denn 1837 wurden ihm diese Auftritte von den Vertretern der jüdischen Gemeinde ausdrücklich untersagt, da sie mit der Würde des Vorbeteramtes unvereinbar seien. Der daraus resultierende Verdienstentgang wurde ihm jedoch großzügig entschädigt. Seine Freundschaft mit Franz Schubert führt unter anderem dazu, dass dieser im Juli 1828 den 92. Psalm für Bariton und gemischten Chor Gebetsgesang für Sulzer vertonte. Salomon Sulzers und Franz Schuberts hebräische Psalm-Vertonungen gehören zu den bedeutendsten Leistungen komponierter Aufklärung und sind in ihrer spirituellen wie melodiösen Einmaligkeit wert, auch außerhalb der Synagogen umgesetzt zu werden. Sulzer war auch wegen seines wunderbaren Bariton-Tenors weit bekannt und man kann im Zusammenhang mit dem 92. Psalm wohl behaupten, dass Salomon Sulzer es war, der einen Schubert uraufführte. Er sang auch bei der ersten Aufführung im Sommer 1828 die Solopartie. Von 1844 bis 1847 erteilte er am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde Gesangsunterricht; die Revolution von 1848 setzte dem allerdings ein Ende.

Die damalige Welthauptstadt der Musik, Wien, verehrte Sulzer. Franz Liszt rühmte Sulzer in seinem Tagebuch: "In Wien besuchte ich den berühmten Tenor Salomon Sulzer. ... Einige Augenblicke lang konnte ich seine Seele durchdringen und die Musik unserer Väter erkennen. Selten wurde ich so gerührt wie an diesem Abend". Giacomo Meyerbeer, Robert Schumann und Niccolo Paganini, besuchten des öfteren wegen Sulzer den Wiener Stadttempel. Die englische Schriftstellerin Frances Trollope lobte in ihrem Werk "Vienna and the Austrians" (London: 1838, deutsch: Trollope, Frances: Ein Winter in der Kaiserstadt, Wien im Jahre 1836, Promedia Verlag, Wien 2003): "There is in truth so wild and strange a harmony in the songs of Israel as performed in the synagogue in this city, that it would be difficult to render full justice to the splendid excellence of the performance, without falling into the language of enthusiasm.... The volume of vocal sound exceeds anything of the kind I have ever heard; and being unaccompanied by any instrument, it produces an effect equally singular and delightful."


Salomon Sulzer. (*30.3.1804 Hohenems, † 17.1.1890 Wien, jüdischer Kantor und Komponist) Salomon Sulzer wurde 1804 in Hohenems, der bedeutendsten jüdischen Gemeinde Westösterreichs, geboren. 1817 wurde in Hohenems die Vorbeterstelle vakant, und der gerade erst "Bar mizwa" Gewordene wurde vorgeschlagen. Allerdings stellte sich ein Teil der Gemeinde der Berufung dieses noch sehr jungen Kandidaten entgegen, und es bedurfte einer ausdrücklichen kaiserlichen Bestätigung, um die Anstellung durchzusetzen. Als Voraussetzung wurde ihm eine dreijährige Lehrzeit eingeräumt, die er dazu benützte, um als Meschorer einen Kantor Lipmann, auf "Kunstreisen" durch Elsass-Lothringen und die Schweiz zu begleiten, Eindrücke, die seine grundsätzlich westaschkenasische Kulturzugehörigkeit noch verfestigten. Nach dieser gründlichen traditionellen Praxisausbildung strebte Sulzer als Kind des heraufdämmernden Assimilationszeitalters auch nach "europäischen" musiktheoretischen Kenntnissen, die er sich in Karlsruhe aneignete.1820 trat er sein Amt in Hohenems an und erwies sich trotz seiner Jugend als der Aufgabe gewachsen. In den fünf Hohenemser Jahren entfaltete er eine rege idealistische Tätigkeit, die bereits auf den späteren Reformer hinweist. So schuf er einen Chor und ein kleines Streichorchester, die sicher zu dem hohen kulturellen Niveau dieser jüdischen Gemeinde in späteren Jahrzehnten beitrugen.

1826 wurde Sulzer an den im Jahr zuvor neu errichteten Wiener Stadttempel als Kantor berufen. Er traf am 28. Jänner 1826 in Begleitung seiner beiden Meschorerim in Wien ein, erhielt bei seinem Probevortrag allgemeine Zustimmung und fungierte erstmals bei der Einweihung des Stadttempels am 9. April 1826. Sulzer galt bald auch außerhalb des Wiener Judentums als markante Persönlichkeit. Salomon Sulzers wunderbarer Bariton war weit über die Stadtgrenzen bekannt. Zu seinen begeisterten Bewunderern und Freunden zählten die Komponisten Franz Schubert, Franz Liszt, Giacomo Meyerbeer, Robert Schumann und Niccolo Paganini, die des öfteren den Wiener Stadttempel besuchten, um Sulzer zu hören.

Als Begründer des modernen Synagogengesanges, der einen Kompromiss zwischen den streng orthodoxen Liedern des östlichen jüdischen Kulturkreises und den geistig offenen Bestrebungen des westjiddischen Kulturbereiches darstellte, brachte er es weit über die Grenzen seiner Heimatstadt hinaus zu Ruhm und Ansehen. Sein Lebenswerk veränderte den Ablauf des jüdischen Gottesdienstes, seine musikalische Ausgestaltung als auch den Berufsstand und das Selbstverständnis des jüdischen Kantors nachhaltig. Sein temperamentvoller Gesangsstil wirkte vorbildhaft für die nachfolgende Kantorengeneration. Der "Wiener Ritus", eine gemäßigte Form des jüdischen Gottesdiensts, geht auf Sulzer und I. N. Mannheimer zurück.

In den späten Lebensjahrzehnten wurden Sulzer zahlreiche öffentliche Ehrungen zuteil. 1868 wurde er Ritter des Fanz Joseph-Ordens. In Wien bekam der gebürtige Hohenemser Oberkantor für seine Verdienste auf musikalischem und humanitärem Gebiet 1874 die Ehrenbürgerschaft (taxfreies Bürgerrecht der Stadt Wien) verliehen. 1876, zum 50jährigen Jubiläum der Einweihung des Stadttempels, rekapitulierte er in einer "Denkschrift" das halbe Jahrhundert seines Wirkens. 1881, nach 56 Dienstjahren wurde der 77jährige schließlich von Joseph Singer abgelöst. Nach seinem Tod am 17. Jänner 1890 wurde er in einem Ehrengrab in der "Reihe der Großen" am Wiener Zentralfriedhof unter reger Anteilnahme beigesetzt.

Musikerfamilie bis Auschwitz. Auch seine Kinder schlugen musikalische Laufbahnen ein: Seine Tochter Marie (verh. Belart, * 14.4.1828 Wien, † 22.3.1892 Wien. Sängerin - Sopran). Ausgebildet am Konservatorium in Mailand, wo sie an der Scala ihre Laufbahn begann. Weitere Auftritte in Frankreich, Spanien, Italien und Wien (am Kärntnertortheater). Später gab sie Gesangsunterricht an der Wiener Opernschule und privat. Sie war mit dem Sänger Bonaventura Belart verheiratet.

Die Tochter Henriette (verh. Biacchi * 24.9.1832 Wien, † 13.11.1907 Wien) war Sängerin (Alt). Studierte wie ihre Schwester in Mailand und begleitete sie auch nach Frankreich. Sie vermählte sich mit dem Bassisten Annibale Biacchi, der unter Kaiser Maximilian Direktor der Oper in Mexiko war, wo sie als Sängerin auftrat. Nach dem Ende des Kaiserreichs (1867) lebte sie bis 1871 in Wien, dann in der Nähe von Florenz/I.

Eine weitere Tochter Sophie (verh. Altschul, * 4.4.1840 Wien, † ca. 1885 New York/USA) war ebenfalls Sängerin und Gesanglehrerin in New York.

Sohn Julius (* 26.7.1830 Wien, † 13.2.1891 Wien) war wiederum Komponist, Dirigent, Violinist. Ausgebildet u.a. von seinem Vater. Nach mehreren Reisen (Europa, Asien) wurde er 1868 Erster Kapellmeister der italienischen Oper in Bukarest. 1870 war er Operndirektor in Turin. Während der Weltausstellung 1873 in Wien führte er im Prater Singspiele und Konzerte auf. 1875–89 war er Kapellmeister am Wiener Burgtheater.

Der Sohn Joseph (* 11.2.1850 Wien, † 14.1.1926 Wien) war Violoncellist und Komponist. Er war bis 1868 Schüler von K. Schlesinger am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde. 1868 ging er mit seinem Bruder nach Bukarest, kehrte 1873 nach Wien zurück und war ab 1874 Mitglied des Orchesters der Hofoper und des Quartetts von J. Hellmesberger sen. 1892 wurde er zum Musikdirektor der Israelitischen Kultusgemeinde ernannt.

Auch dessen Sohn Rudolf ( * 23.10.1885 Wien, † 16.2.1943 Auschwitz) widmte sich bis zu dessen Ermordung in Auschwitz als Sänger (Bariton, Tenor) der Musik. Er wurde ans Deutsche Theater in Prag engagiert. Danach sang er an der Volksoper Wien und an der Komischen Oper in Berlin. Am Berliner Neuen Operettentheater wechselte er zum Operettentenor, war nach dem Ersten Weltkrieg bis 1922 am Carltheater, anschließend wieder in Berlin und bei Gastspielen erfolgreich.


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