Mittwoch, 23. März 2022

[ #Hohenems ] Ein Pionier der Pille: Eugen Steinach aus Hohenems

Einstein, Freud und Steinach
Elf mal war er für den Nobelpreis vogeschlagen worden. In den 1920er Jahren wussten alle, was es heißt, sich "steinachen" zu lassen. Rund 40 Jahre Wissenschafts- und Medizingeschichte liegen zwischen dem "Steinach-Rummel" der 1920er Jahre und der ersten Markteinführung eines Ovulationshemmers.

Steinachgasse. Nicht nur in medizinischen Kreisen sondern sogar in den literarischen Salons der großen Welt genoss der aus Hohenems in Vorarlberg stammende Eugen Steinach (1861-1944) höchste Anerkennung. Durch seine Forschungen über die Physiologie der Hormon-Drüsen lieferte er wesentliche Grundlagen für die Entwicklung der Antibabypille. Zwischen 1921 und 1938 wurde er nicht weniger als elfmal für den Nobelpreis vorgeschlagen. Im Jahr 1955 wurde in Wien Donaustadt (22. Bezirk) die Steinachgasse nach ihm benannt.

Steinachs Forschungen. Der UFA-Palast am Zoo präsentierte 1922 einen ungewöhnlichen Dokumentarfilm. "Steinachs Forschungen" lassen angeblich einen Menschheitstraum in Erfüllung gehen: die ewige Jugend. Altersbekämpfung durch Hormone sorgt bis heute für Schlagzeilen, obwohl sie wissenschaftlich mehr als umstritten ist.


Dieser UFA-Film regte nicht nur das Interesse der Kinobesucher an, sondern auch das des Pharmaunternehmens Schering-Kahlbaum in Berlin. Das Schering-Hauptlabor begann 1923 mit der Hormonforschung. Es kooperierte mit dem Autor des Films dem Hohenemser Eugen Steinach (1861-1944) und dessen Assistenten Walter Hohlweg (1902-1992). 1928 wechselte dieser zur Schering AG und machte dort mit Hans Herloff Inhoffen bedeutende Entdeckungen, die den Weg zur Entwicklung von Ovulationshemmern eröffnete.

Viel später hatte sich dann herausgestellt, dass mit den Entdeckungen Steinachs die Möglichkeit geschaffen war, empfängnisverhütende "Pillen" auf den Markt zu bringen. Er gilt damit als Spiritus rector des ersten zyklusregulierenden Hormonpräparats. Obwohl Eugen Steinach weltberühmt war, wurden sein Laboratorium und seine Forschungsarbeiten 1938 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten beschlagnahmt und zerstört. Er selber konnte 1938 nach einer Vortragsweise in die Schweiz nicht mehr nach Österreich zurückkehren. Seine Frau Antonie beging Selbstmord.

Eugen Steinach (*22.1.1861-†14.5.1944). Eugen Steinach entstammt einer bedeutenden jüdischen Arztfamilie, die über mehrere Generationen in Hohenems ansässig war. Bereits sein Vater Simon Steinach war physioligisch-wissenschaftlich tätig und führte als einer der ersten in Vorarlberg die antiseptische Wundbehandlung ein.

Eugen Steinach war Physiologe und Sexualforscher (* 22. Januar 1861 in der Jüdischen Gemeinde in Hohenems; † 14. Mai 1944 in Territet bei Montreux), Enkel von Wilhelm Steinach, Sohn von Simon Steinach. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Feldkirch studierte Eugen Steinach 1879/80 Chemie und Zoologie an der Universität Genf, ab 1880 Medizin an den Universitäten Wien und Innsbruck. 1886 promovierte er zum Dr. med. der Univ. Innsbruck.

Von 1886 bis 1888 war Eugen Steinbach Assistent am Physiologischen Institut in Innsbruck, ging danach als Assistent nach Prag, wo er sich 1890 für Physiologie an der deutschen Universität habilitierte: Ab 1895 als ao. Professor und ab 1906 ordentlicher Professor. In Prag gründete er 1903 das erste Laboratorium für allgemeine und vergleichende Physiologie an einer deutschsprachigen Universität und war bis 1912 deren Vorstand.

1912 schaffte er in Wien die von ihm bis 1932 geleitete Physiologische Abteilung an der Biologischen Versuchsanstalt der Akademie der Wissenschaften, ab 1919 war er Professor für Physiologie an der Universität Wien. 1932 ging er in den Ruhestand.

Eugen Steinach forschte am anatomischen Institut der Universität Wien bei Emil Zuckerkandl zur Funktion der Drüsen. 1909 erhielt er den Ignaz-Lieben-Preis (eine Art österreichischer Nobel-Preis) für seine Untersuchungen über die Summation von Nervenreizen, 1918 ein zweites Mal für seine experimentellen Arbeiten über die Pubertätsdrüsen der Säugetiere.

Ab 1923 sind ihm in Zusammenarbeit mit dem deutschen Pharmaunternehmen Schering-Kahlbaum wesentliche Vorarbeiten für das erste Hormonpräparat Progynon (1928) zu verdanken. Gemeinsam mit anderen Forschern gelang ihm bis 1935 die chemische Strukturanalyse der Sexualhormone als Basis zur Synthese, wodurch 1938 das erste synthetische Hormonpräparat hergestellt werden konnte.

Hormonforscher. Eugen Steinach war Dr. h.c. der Universität Rostock, verfasser über 60 Aufsätze und Bücher, 1921–38 wurde er elfmal für den Nobelpreis für Physiologie und Medizin vorgeschlagen. Berühmt wurde er durch die Steinach-Operation ("Steinachsches Verfahren"), die Vasoligatur, eine nicht unumstrittene Methode, bei der durch Durchtrennung der Samenleiter die körpereigene Produktion von Testosteron angeregt und verjüngende Effekte erzeugt werden sollten.

Steinach gilt als der bekannteste Hormonforscher seiner Zeit, und seine Methoden wurden auch in der Veterinärmedizin erfolgreich angewendet. Karl Kraus erwähnte ihn mehrmals in der "Fackel", er zählte zum Bekanntenkreis Arthur Schnitzlers, 1920 schrieb der Komponist und Musikdirektor Willy Kaufmann den Foxtrott "Steinach Rummel", und im Simplicissimus wird in 23 Beiträgen auf ihn bzw. auf den von ihm ausgelösten Rummel bezug genommen. Sein 1923 im UFA-Filmpalast in Berlin uraufgeführter Film stellte seine endokrinologischen Forschungen einem breiten Publikum vor.

Nationalsozialismus. Eugen Steinach war in jener Zeit auch häufig Ziel antisemitischer Angriffe und Karikaturen. Er beendete nach der Beschlagnahmung seiner Bibliothek und seiner Forschungsunterlagen durch die Nationalsozialisten im März 1938 seine wissenschaftliche Karriere. 1938 verblieb er nach einer Vortragsreise in der Schweiz, wo er nach dem Selbstmord seiner Frau Antonie im Exil lebte.


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