Dienstag, 23. November 2021

[ #Hard ] Vorarlberg: "The Making of Christmas Tree"

Protestantische Textil-Industrielle führten den Christbaum in Vorarlberg ein.

In der Zeitschrift "V-Dialog" für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Vorarlberger Landesverwaltung (Nr.3/Dezember 2007) berichtet Ulrich Nachbaur - Historiker des Vorarlberger Landesarchivs - über das "Making of Christmas tree" in Vorarlberg.

Verpackt in eine fast rührende Weihnachtsgeschichte.


Weihnachtsbaumstiftung in Hard. Das Harder Fabrikanten-Ehepaar Samuel und Henriette Schindler errichtete im März 1880 eine "Stiftung zum Andenken an Susanna Henriette Schindler" in Erinnerung an ihre 1875 mit zehn Jahren verstorbene Tochter. 

Als Kapital brachten sie einen mit 5 Prozent verzinsten Pfandbrief zu 1.000 Gulden (entspricht 2007 ca. 10.000 Euro) ein. Die Gemeinde Hard nahm die Stiftung dankend an. Im Stiftbrief ist genau bestimmt, was sie zu tun hatte: 

Jährlich am 25. Dezember war für die Kinder der untersten Klasse der Gemeindeschule eine Christbaumfeier auszurichten, zu der auch deren Eltern und andere erwachsene Angehörige Zutritt hatten. Die Hälfte des Zinsertrags war für den Baum und seinen Schmuck sowie für Lebkuchen und Obst für die Kinder zu verwenden; die andere Hälfte für ein kleines Kleidungsstück für jedes Kind. 
"Der Baum muß eine Rothtanne sein, von dichten großen Aesten und dichtem Nadelwerk, mindestens zwei und einhalb Meter hoch, mit starkem Kreuz versehen; die Lichter, farbige Wachskerzchen in zweckentsprechender Größe, nicht unter zehn Grammes Gewicht jedes Einzelne – nicht weniger als hundert zwanzig fünf solcher Kerzchen, welche nicht früher gelöscht werden dürfen, ehe sie am Weihnachtsabend selbst vollständig abgebrannt sind."
Religionskrieg. Im katholischen gegenreformatorischen Vorarlberg wurde der Weihnachtsbaum damit wohl von den vorwiegend protestantischen Industriellen eingeführt. Als in evangelischen Kreisen der Christbaum ins Brauchtum übernommen wurde, trat der Christbaum seinen Siegeszug an. 
Einer der ersten Christbäume in Vorarlberg wurde 1832 vom Feldkircher Fabrikantensohn Carl Ganahl verwendet. Seine Mutter war in jenem Jahr zum Nikolaus, dem damals üblichen Bescherungstag, gestorben, und er wollte deshalb die Bescherung für seine jüngeren Geschwister nachholen. Den Brauch hatte er wohl während seiner Lehrjahre im protestantischen Umfeld in der Schweiz kennengelernt.
Aber selbst in der Familie des Vorarlberger Kreishauptmannes Johann von Ebners (1822 bis 1849 k. k. Kreishauptmann von Vorarlberg) wurden die Kinder am Vorabend des Nikolaus-Festes beschert. Der Nikolaus hatte für die Ebner-Kindern luxuriöse Geschenke: Puppen, Hüte, Ohrringe, Bücher, Uhren, Wiegepferd, Harnisch, Zinnsoldaten. 1845 überraschten sie die Kinder bereits mit einem Weihnachtsbaum, zwar noch zu Nikolo, aber doch. Das Tagebuch des Kreishauptmannes vom 5. Dezember 1845  konstatiert  allerdings nüchtern:
"Man stellte übrigens mit großer Mühe einen Christbaum her, welcher hübsch beleuchtet für erwachsene Leute sich schön ausnahm. Die Kinder nahmen gar wenig Notiz davon. Sie bekamen zu viel Spielzeug, das sie wenig achteten. Hätte man dafür armen Kinder etwas mitgetheilt!!"
Weihnachtsbaumreligion. Der Tannenbaum war der Weihnachtsbrauch der Protestanten, Nikolaus und Krippe dagegen der Katholiken. Dass der Reformator Luther auch noch Erfinder des Christbaums gewesen sein soll, ist allerding nur eine Legende. Da Tannenbäume in Mitteleuropa darüber hinaus selten waren, konnten sich diese zunächst nur die begüterten Schichten leisten, und die Stadtbevölkerung musste mit Zweigen und anfallendem Grün auskommen. Erst als ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vermehrt Tannen- und Fichtenwälder angelegt wurden, konnte der allgemeine Bedarf gedeckt werden.

Heute stehen sie also in friedlicher Eintracht nebeneinander. Früher wäre das undenkbar gewesen, denn viele Weihnachtsbräuche gehen auf den Kulturkampf zwischen Protestanten und Katholiken zurück. In Mode kam die geschmückte Tanne erst um 1800 als protestantischr Brauch. Die Katholiken spotteten damals noch über den evangelischen Tannenbaum und bezeichneten den Protestantismus sogar als "Weihnachtsbaumreligion". 

Gegen  Ende des 19. Jahrhunderts hielt der Christbaum auch in katholische Wohnzimmer Einzug. Entscheidend für seine Verbreitung war der deutsch-französische Krieg von 1870, als auf Anweisung der Heeresleitungen in den Schützengräben Weihnachtsbäume als Propaganda für die Heimat aufgestellt wurden. Der Weihnachtsbaum wurd Teil deutscher Propaganda und des Deutschtums.

Obwohl die katholische Kirche lange Zeit der Weihnachtskrippe den größeren Symbolgehalt zugemessen hatte, übernahm sie mit der Zeit auch den Brauch, einen Weihnachtsbaum aufzustellen. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ist der Weihnachtsbaum auch in den katholischen Regionen Deutschlands und Österreich bezeugt. Heute sind unserere Weihnachtsbräuche eigentlich überkonfessionell, ja man kann sich ihnen weder als Nichtgläubiger noch als Andersgläubiger wirklich entziehen. So allgegenwärtig sind sie vom Kindergarten bis zum Supermarkt. 

Wien - Washington - Brüssel. Der erste Weihnachtsbaum in Wien wurde 1814 von Fanny von Arnstein, einer aus Berlin stammenden angesehenen jüdischen Gesellschafts-Dame aufgestellt. 1891 wurde erstmals ein "Christmas tree" vor dem Weißen Haus in Washington aufgestellt.

In Österreich ist es seit dem EU-Beitritt Tradition geworden, einen österreichischer Nadelbaum vor dem EU-Parlament in Brüssel zum Adventbeginn aufzustellen. 

Ursprünglich wohl mehr eine Marketingaktion der niederösterreichischen Christbaumgärtner. Rund um den Christbaum hat sich mittlerweile ein kompletter Wirtschaftszweig herausgebildet. Viele Länder importieren tausende Bäume für den Heiligen Abend, während sie selbst Bäume exportieren. Für Österreich schätzt man einen jährlichen Bedarf von knapp über zwei Millionen Bäume.



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