Sonntag, 19. Juni 2022

[ #Bregenz ] Egon Schiele: ... ich blieb in Bregenz 1912 und sah nichts als den verschieden stürmenden See ...

Egon Schiele / Das alte Schloss in Bregenz  - 1912

Am 25. Januar 1914 schrieb Egon Schiele: "Mir ekelte vor meiner früher so innig geliebten melancholischen Landschaft in Neulengbach. - es trieb mich als Gegensatz an die Grenze(!); ich blieb in Bregenz 1912 und sah nichts als den verschieden stürmenden See und ferne weiße sonnige Berge der Schweiz .- ..."

Aktstudien. Egon Schiele übersiedelte 1911 nach Krumau, der Heimatstadt seiner Mutter. Kurz zuvor macht er Bekanntschaft mit dem Modell Wally Neuzil, die sein bevorzugtes Modell und seine Freundin wird. Er geht mit ihr eine freie Lebensgemeinschaft ein und nimmt sie mit nach Krumau. Dort beginnt eine künstlerisch ersprießliche Tätigkeit. Bald aber läuft es der kleinstädtischen Gesinnung zuwider, dass Schiele auch sehr junge Krumauer Mädchen zu Aktstudien heranzieht und darüber hinaus in "wilder Ehe" mit Wally lebt. Schiele muss aus Krumau fort und lässt sich nach einer kurzen Zwischenstation bei seiner Mutter in Neulengbach, nahe bei Wien, nieder. Schiele fällt aber wie in Krumau als Künstler auf. Seine berühmten Jungmädchenakte machen ihn zum Skandalmaler der Wiener Gesellschaft und bringen ihn in seinem kurzen Leben ins Gefängnis.

Untersuchungshaft. Am 13. April wird Schiele in Neulengbach in Untersuchungshaft genommen wegen angeblicher Entführung einer Minderjährigen und anderer Delikte. 125 erotische Zeichnungen wurden beschlagnahmt. Am 30. April wird er ins Kreisgericht nach St. Pölten überstellt. Die Hauptbeschuldigung, eine Minderjährige verführt zu haben, erweist sich als haltlos. Weil Kinder aber gelegentlich in Schieles Atelier seine Aktstudien zu Gesicht bekommen, scheint damit dem Gericht der Tatbestand der "Verbreitung unsittlicher Zeichnungen" gegeben. Es verurteilt Schiele deswegen zu drei Tagen Arrest, die aber mit der vierundzwanzigtägigen Untersuchungshaft verbüßt sind. Ermöglicht wurde die Verhaftung des Künstlers durch den Paragraphen 516 des damaligen Strafgesetzes (Die Geburtsstadt Tulln hat übrigens ausgerechnet im alten Gefängnis ein kleines Schiele-Museum eingerichtet). Das alles bedeutet für Schiele einen schweren Schock. Die Zeit von Neulengbach, eine seiner produktivsten Perioden, war auf diese Weise zu Ende gegangen.

Selbstpotraits. Unzweifelhaft sind die Akte in Schieles Werk ein ganz wesentlicher Bestandteil. Schiele äußerte sich dazu: "Kein erotisches Kunstwerk ist eine Schweinerei, wenn es künstlerisch bedeutend ist, zur Schweinerei wird es erst durch den Beschauer, wenn er ein Schwein ist". Was den genialen Bürgerschreck vor fast 90 Jahren hinter Gitter gebracht hat, hängt heute in jedem dritten Wohn-/ Schlafzimmer! Aber unberücksichtigt bleibt auch, dass von den 245 erhaltenen Gemälden - dazu kommen noch rund 2000 Zeichnungen - über hundert Selbstporträts sind, oder besser: Selbstdarstellungen. Denn die meisten dieser Bilder sprengen den Rahmen dessen, was man gemeinhin ein Selbstporträt nennt. Für Schiele ist die Selbst-Darstellung stets Selbst-Suche. Suche nach den Grenzen und Konturen seines Selbst.

Bregenz. Die Zeit im Gefängnis hatte bei dem jungen Schiele natürlich ihre Spuren hinterlassen, Schiele fühlt sich zunächst unfähig, zu arbeiten. Er teilt sich ein Atelier mit seinem Freund und Mitglied der "Neukunstgruppe", Erwin Osen. Bis zum Jahresende unternimmt er mehrere Reisen; zunächst nach Kärnten und Triest, in der zweiten Jahreshälfte zieht es ihn nach München, Bregenz und Zürich. Im Sommer 1912 fuhr Schiele mit der Bahn nach Bregenz und wohnte in einem Gasthaus am See (Reichstr. 13, heute abgerissen). Selbstredend nützte Schiele die Zeit am Bodensee auch zum Zeichnen und Malen. Im November bezieht er wieder ein eigenes Atelier in der Hietzinger Hauptstraße in Wien. Neben den Modellen die weiterhin zahlreich sein Atelier besuchen, entstehen in Schieles Räumen in den nächsten Jahren zahlreiche Portraits von Freunden und Förderern. In der von Franz Pfemfert herausgegebenen Berliner Zeitschrift "Die Aktion - Wochenzeitschrift für Politik, Literatur und Kunst" werden seit 1913 sowohl Zeichnungen als auch Prosagedichte Schieles aufgenommen.


Egon Schiele - Kastanienbaum (Blick vom Seeufer bei Lochau...) 1912

Egon Schiele. Egon Schiele wurde am 12.6.1890 in Tulln als 4. Kind des Bahnhofsvorstandes im Gebäude des Tullner Bahnhofs geboren. Ab 1906 besucht das Eisenbahnerkind die Akademie der Bildenden Künste, die er nach drei Jahren enttäuscht abbricht. Die Anfänge seines künstlerischen Schaffens stehen noch im Zeichen nachimpressionistischer Stiltendenzen, ab 1907 wendet er sich unter dem Einfluss Gustav Klimts dem Jugendstil zu. Seine Auseinandersetzung mit der dominierenden künstlerischen Richtung erfolgt jedoch auf sehr eigenständige Art und Weise. Sich von den ästhetisierenden, ornamentalen Tendenzen des Jugendstils abwendend, findet Schiele ab 1910 zu seinen typischen expressionistischen, teilweise ekstatisch anmutenden Ausdrucksstudien. Ausdrucksstark, mit expressionistischer Gestik bildet er nicht nur Sichtbares ab, sondern beschreibt Seelenzustände, fängt das Temperament und die inneren Spannungen der Abgebildeten ein. Stilistisch entfernt er sich immer mehr von seinem Freund und Förderer Gustav Klimt und den Wiener Sezessionisten. Erst in seinen letzten beiden Lebensjahren erlangt Schiele Anerkennung als Portraitist. Er hatte enormes Talent und eine egomane Besessenheit, wie man schon an der Zahl seiner Werke ersehen kann.

Spanische Grippe. In den Jahren 1918 und 1919 ging das Influenza-Virus als "Spanische Grippe" in die Geschichte ein. Der erste Weltkrieg wütete. Leid, Trauer und Schmerz überzogen viele Länder. Jeden Tag hatte man Tausende von Gefallenen zu beklagen, was war da schon ein Kranker in einem Militärcamp? "Ein Drückeberger, jemand der nicht an die Front will...". So dachte auch dieser Armeeangehörige der unter starken Schmerzen seinen Dienst verrichtete. Tagelang schleppte er schon eine fiebrige Erkrankung mit sich, als er sich endlich beschloss zum Militärarzt zu gehen. "Erkältung!" lautete kurz und knapp die Diagnose des Arztes und er steckte den Armeeangehörigen ins Bett und lies ihn gehörig schwitzen. Dieser "Erkältungs"-Erkrankte war der Anfang einer verheerenden Grippe-Pandemie, der erste Erkrankte an der "Spanischen Grippe" starb. So geschehen am 11. März im Jahre 1918 in einem Militärcamp in Kansas/USA. Nach Angaben der WHO starben bei der Pandemie weltweit mindestens 40 Millionen Menschen. Der Name "Spanische Grippe" rührt daher, dass die Presse in Spanien weitaus freier war als in den am ersten Weltkrieg direkt beteiligten Staaten. Nachrichten über die Krankheit wurden daher in vielen Ländern zensiert, so dass die ersten alarmierenden Berichte über diese Pandemie aus dem neutralen Spanien kamen.

Die glückliche Schweiz war an diesem Krieg nicht beteiligt. Aber auch die Schweizer Armee brauchte Kriegerdenkmäler. Und so baute man den während des ersten Weltkrieges an der Spanischen Grippe verstorbenen Schweizer Wehrmännern im ganzen Land Erinnerungsstätten. Dass Gesundheit und Leben von "Soldaten" auch vor dem Debnkmal nicht viel wert waren zeigt, dass von den 21.500 Schweizer Epedemieopfern nicht weniger als 3000 Soldaten waren. Trotzdem würde man sich mehr solcher statt anderer "Kriegerdenkmäler" wünschen.Die ihnen gewidmeten Denkmäler erforderten eine spezielle Typologie und eine schweizerische Ikonographie ohne heroische Kampfgebärden. Die Bildhauer schufen nun in der ganzen Eidgenossenschaft friedliche Allegorien und Soldaten auf Wache. Als das bekannteste gilt das Forchdenkmal.

Am 6. Februar 1918 stirbt Gustav Klimt. Am Tag danach hat Schiele den toten Klimt im Allgemeinen Krankenhaus dreimal gezeichnet. Durch den Tod Klimts war er plötzlich der anerkannt führende Künstler Wiens. Im März stellt die Wiener Sezession Schiele und seiner Gruppe ihr Gebäude zur Verfügung, Schiele selbst den Hauptsaal. Er ist mit 19 großen Gemälden und 29 zum Teil aquarellierten Zeichnungen vertreten. Künstlerisch und materiell bedeutet diese Ausstellung für ihn den ersten wirklichen Erfolg. Seine Gattin ist im sechsten Schwangerschaftsmonat als sie am 19. Oktober an spanischer Grippe erkrankte. Neun Tage später verstarb sie und wurde am 31. Oktober am Ober-St. Veiter Friedhof beigesetzt. Am Abend des 27. Oktobers hatte Egon Schiele noch zweimal seine Frau gezeichnet. Es waren seine letzten Arbeiten. Egon Schiele stirbt jung, am 31.10.1918 in Wien - mit nur 28 Jahren - an der Spanischen Grippe, am selben Tag an dem das Begräbnis seiner Frau stattfand.

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